Von Frank Bosse
Wir haben schon oft über das hypothetische „Versiegen der Warmwasser-Heizung“ für Europa berichten müssen. Das liegt weniger an den Autoren selbst denn daran, dass in regelmäßigen Abständen „Alarm“ geschlagen wird. Die AMOC (Atlantic Meridional Overturning Circulation), oder auf Deutsch die “Atlantische Umwälzzirkulation”, transportiert in der Tat sehr viel Wärme in nördliche Breiten vor allem Europas. Insofern wäre ein Versiegen schon ein heftiges Ereignis, das unser Klima empfindlich treffen würde. Und es nicht völlig unmöglich, dass so etwas geschieht.
Vor kurzem hatten wir hier die Stellungnahme der „Deutschen Meteorologischen Gesellschaft“ zu „Kipppunkten“ ausgewertet (ein Versiegen der AMOC wäre ein solcher), die dafür keine Evidenz sieht. Nun wurde jedoch die AMOC wieder neu durchs Amoklauf-Dorf getrieben. Es erschien ein „offener Brief“ von (einigen) Wissenschaftlern, in ihm werden Politiker angesprochen mit „dringenden Warnungen“ vor einem Kollaps. Zu den Unterzeichnern gehören vier Angehörige des PIK (Potsdam Institut für Klimafolgenforschung, da steht die Wiege aller Kipppunktfantasien) und auch die Autoren aus Utrecht, die da in einer Studie ein „Kippen“ um 2050 errechnet hatten, wir berichteten darüber und über ihre Widerlegung.
Das Medienecho ist auch hierzulande (natürlich) gewaltig, vgl. hier.
Was ist dran? Im „Guardian“ erschien ein ausführlicher Artikel, in dem Prof. Stefan Rahmstorf (Mitautor des offenen Briefes) Erläuterungen gibt. Darin ist eine Übersichtszeichnung enthalten:
Quelle: Guardian
In Rot der Oberflächentransport, in blau die Tiefenströmungen der Wassermassen.
Sie illustriert die Vorgänge. Damit referiert Rahmstorf zunächst zutreffend den Mechanismus der „Pumpe“ AMOC. Sie funktioniert kurz gefasst so: Tropisches warmes salzreiches Wasser, das vor allem der Golfstrom östlich von Nordamerika mit hoher Geschwindigkeit nach Norden fördert (er endet östlich von Neufundland, wird durch den Passatwind getrieben und kann nicht versiegen so lange die Sonne scheint und die Erde sich dreht), bewegt sich anschließend viel langsamer als “Nordatlantikstrom” Richtung Grönland, kühlt dabei immer mehr ab und wird durch den noch immer hohen Salzgehalt schwerer als das umgebende Wasser. Östlich von Grönland kommt es dadurch zum „Absturz“ in große Tiefen, der damit verbundene Sog treibt weiter Wasser gen Norden. Der „Absturz“ könnt auch abreißen: wenn die Wassermasse ihren höheren Salzgehalt verliert durch Versüßung, u. a. Schmelzwasser von Grönland her und mehr Niederschlag in der Region könnten so etwas bewerkstelligen. Das wäre dann der „AMOC-Kollaps“, theoretisch.
Am Ende lässt Rahmstorf sein „Bauchgefühl“ sprechen:
„If you ask me my gut feeling, I would say the risk that we cross the tipping point this century is about 50/50.”
Darüber ist auch der renommierte Klimaforscher John Kennedy verwundert, er kommentiert in einem lesenswerten Essay:
„Wenn jemand in Bezug auf die AMOC mit seinem Bauchgefühl richtig liegt, dann ist es wahrscheinlich Stefan Rahmstorf, aber ich würde trotzdem lieber hören, was sein Verstand zu dieser Angelegenheit zu sagen hat. Mehr noch, ich würde lieber hören, was die versammelten Experten zu sagen haben. Unglücklicherweise haben sie sich dafür entschieden, über eine Erklärung ihrer Überzeugungen in einem offenen Brief zu kommunizieren, der, so aufrichtig er auch sein mag, vielleicht weniger überzeugend ist, als er sein könnte, und definitiv weniger umfassend, als er sein sollte.“
Kennedy zeigt mit Verweisen in seinem Aufsatz, dass es da in der Wissenschaft sehr viele Zweifel gibt (auch die “Deutsche Meteorologische Gesellschaft” hat große, s. o.), ob das doch so simpel klingende Konzept des baldigen AMOC-Kollapses evidenzbasiert und realistisch ist.
Hier sei mit zwei Sachverhalten gezeigt, dass wir bisher keine Hinweise aus Beobachtungen dafür sehen, dass „eine Versüßung“ tatsächlich eingesetzt hat. Dafür kommt infrage: mehr Schmelzwasser und mehr Regen. Ein Blick auf die Trends in der fraglichen Region:
Quelle: Climate Explorer
Die Trends des Niederschlags zwischen 1970 und 2023 nach der Reanalyse ERA5. Da ist unmittelbar vor der amerikanischen Küste (rot-orange, unbedeutend für die AMOC) ein kleines Gebiet mit mehr an Regen zu sehen, in der Region des Nordatlantikstromes ist da völlige Fehlanzeige bezüglich Trends.
Wie verhält es sich mit dem Salzgehalt des Gebietes insgesamt?
Quelle: Climate Explorer
Hier sehen wir eher eine leichte Zunahme der Salinität (orange Flächen) im „Heißen Gebiet“ nördlich Island, keine für die AMOC relevante Abnahme weit und breit.
Bis 2023 gibt es da null Anzeichen für eine Schwächung des Pump-Mechanismus der AMOC!
Und so nimmt es auch nicht wunder, dass in den unmittelbaren Messungen der AMOC ab 2004 viel Variabilität und wenig eindeutiger Trend ist:
Quelle: Climate Explorer
Am Ende ist es immer der gleiche Ausgang: Eine Fraktion „Üblicher Verdächtiger“ in der Wissenschaft wendet sich schrill und mit viel Gefühl an die Öffentlichkeit mit düsteren Prognosen. Eine Prüfung auf ihre Evidenz schlägt wieder und wieder fehl. Evidenz und Wissenschaft sollten jedoch zusammen gehören wie Siamesische Zwillinge.
Wann wird dieser fortgesetzte Amoklauf einmal aufhören?