Mehr vom „Klimamurmeltier“ oder die Dezemberflut 2023 aus Sicht des DWD

Von Frank Bosse 

Die „klimatische“ Einschätzung des Flutereignisses in Niedersachsen und Teilen von Sachsen- Anhalt im vergangenen Dezember war bereits hier erfolgt. Umso gespannter war der Autor zu lesen, was der DWD dazu meint. Am 18.01.2024 erschien dessen Einschätzung. Der erste Teil beschreibt die meteorologische Situation, auch detaillierte Wetterkarten helfen bei der Aufarbeitung. Interessant wird es ab Seite 16: „Klimatologische Einordnung“. Zunächst wird auf das global wärmste Jahr 2023 seit Beginn der Aufzeichnungen verwiesen, was   nicht weiterhilft bei der Einordnung des Ereignisses im Dezember. Ebenso wie in der „Klimanachrichten“- Rückschau wird auch vom DWD auf die stärkere Verdunstung in einer wärmeren Umgebung hingewiesen: 

„Mit steigenden Temperaturen können mehrere Mechanismen zu einer Intensivierung von Niederschlägen führen: Das Aufnahmevermögen der Luft von Wasserdampf nimmt mit steigender Temperatur zu (Temperaturabhängigkeit des Gleichgewichtsdruckes beschrieben durch die Clausius-Clapeyron-Beziehung).“ 

Dann werden die Meeresoberflächentemperaturen (SST) referiert und gefolgert:  

Im Herkunftsgebiet der Tiefdruckgebiete lagen somit zum Zeitpunkt des Ereignisses außergewöhnlich hohe Meeresoberflächentemperaturen vor. 

Das sei näher untersucht. In der Wetterkarte des DWD (Abb. 1 der Quelle) wird die Lage der Tiefs klar gezeigt: 

Abb.1: eine Reproduktion von Abb. 1 der Quelle. Alle Tiefdruckgebiete lagen nördlich 40°N von Neufundland bis Zentraleuropa.  

Die SST -Anomalien des Jahres im Gebiet nach dem Produkt ERSSTv5: 

Abb.2: Die Abweichungen vom Mittelwert 1971-2010 über die Monate des Jahres 2023 im „Herkunftsgebiet“ der Tiefdruckgebiete.  

Klar zu sehen, dass es da zwischen Mai und Juli um ca. 1°C nach oben ging aus welchem Grund auch immer, ab September jedoch ein Rückgang auf die Werte des Frühjahrs zu verzeichnen war. Da es um das Dezemberereignis geht, sind die Vormonate nicht von Belang, entscheidend sind die Luftmassen in Kontakt zum Ozean und die haben keine Erinnerung an den Sommer. Daher ein Blick auf die SST der letzten 100 Jahre da im Dezember: 

Abb.3: Die Dezember-SST (ERSSTv5) seit 1923 im Gebiet.  

Die „nordatlantische multidekadische Variabilität“ (AMV oder auch AMO) drückt den Stempel auf. Sie ist eine natürliche Oszillation mit einem Maximum in den 40er Jahren und einem nach 2000 und einem Minimum in den 70ern.  Klar zu sehen, dass die SST im Dezember 2023 nicht „außergewöhnlich hoch“ waren, es gab sogar schon in den 40er Jahren höhere Monatswerte als im letzten Jahr. Nicht einmal die großen AMO-Schwankungen haben einen Einfluss auf den Winterniederschlag in Europa.  

Das Argument des DWD ist „klimatisch“ nicht stichhaltig.  

Der DWD zeigt dann, ebenso wie der Bericht hier, die Winter-Niederschlagsmengen in Deutschland in der Abb. 9 dort und wagt dann eine Behauptung, da sie von 1881 bis in die 40er Jahre deutlich stiegen:  

Beide Entwicklungen sind konsistent zu den Ergebnissen aus regionalen Klimaprojektionen, die die Klimaentwicklung in Deutschland bei steigenden Treibhausgaskonzentrationen simulieren. In Niedersachsen und Sachsen-Anhalt traten die höchsten Dezemberniederschläge seit 1881 auf. 

Im DWD-Dokument wird auf S. 17 definiert, um welche Zeiträume es klimatisch geht:  

“Vor allem seit ca. 1970 steigen die nationalen und weltweiten Temperaturen kontinuierlich an [9]. Der Anstieg ist in seiner Gesamtheit nur durch den Anstieg der atmosphärischen Treibhausgaskonzentrationen, der sich auch in 2023 fortgesetzt hat, erklärbar…” 

Im Klimanachrichten-Beitrag wurde daher der „Klimatrend“ des Niederschlags in diesem Zeitraum untersucht:  

Abb. 4: Eine Reproduktion aus dem Beitrag der „Klimanachrichten“ vom 12.1.2024. 

Während der Zeit “des treibhausgasbedingten Anstieges der Temperaturen” sehen wir beim Winterniederschlag in Deutschland praktisch einen Null-Trend (sogar etwas abwärts) bei hoher Variabilität von Jahr zu Jahr.   

Auch dieses Argument des DWD ist „klimatisch“ nicht stichhaltig.  

Weiter unten beschäftigt sich der DWD dann auf S. 20 mit der Atmosphärendynamik und zeigt in Abb. 10 links die 500 hPa Luftdruck- Höhen Anomalie: 

Abb. 5: Eine Reproduktion von Abb. 10 links des DWD-Dokuments.  

Sie sagt aus, dass über großen Teilen Europas im Norden bis hin nach Island und Grönland tiefer Luftdruck herrschte, im Süden vor der spanischen Küste und bei den Azoren hoher Luftdruck. Das ist sehr typisch für eine „positive Nordatlantische Oszillation“ (kurz NAO), wie sie sehr oft vorkommt im Winter. Wer kennt nicht den Begriff “Azorenhoch”? Auch das ist klimatisch also irrelevant. 

Schließlich bemüht der DWD noch El Niño und „zaubert“ mit Abb. 11 eine positive Korrelation zwischen dem „SOI-Index“ und den Winterniederschlägen hierzulande hervor, was ein mehr an Niederschlägen bei einem El Niño wie gegenwärtig erwartbar machen würde. Der SOI-Index ist die Luftdruckdifferenz zwischen Tahiti und Darwin in Nordaustralien. Er kann als Anhaltspunkt für den Zustand der ENSO (El Niño Southern Oscillation), also für El Niño, neutral oder La Niña benutzt werden. Verlässlicher als die atmosphärische Auswirkung der Meeresoberflächentemperaturen im tropischen Ostpazifik sind allerdings diese selbst, man benutzt üblicherweise ein Meeresgebiet, das Nino3,4 genannt wird. Und siehe da: 

Abb. 6: Die Null-Korrelation (weiß) von ENSO und Niederschlag in Deutschland im Dezember. Das Bild wurde mit dem KNMI Climate Explorer generiert.  

…es gibt keine Verbindung von Dezemberniederschlag und El Niño. Sehr oft wird über solche Abhängigkeiten fabuliert, sie treffen in Wahrheit weder bei Temperaturen noch bei Niederschlägen hierzulande zu, anders als in anderen Regionen des Globus.  

Zurück zum eigentlichen Ereignis. 

Ein Verweis auf Modelle darf da auf S.19 auch nicht fehlen: 

Auswertungen von Klimaprojektionen für Deutschland zeigen insbesondere für Szenarien mit einem ausgeprägt fortschreitenden Klimawandel („weiter-wie-bisher“) eine Tendenz zur Zunahme der maximalen Niederschlagsmengen bei Dauerregenereignissen von mehrtägiger Andauer für alle Jahreszeiten…“  

Gerade bei örtlichen Niederschlägen sind alle Modelle noch viel zu grob und haben eine sehr geringe Performance, das ist allseits bekannt. Aussagen sind also mit sehr großer Vorsicht zu „genießen“ Wichtig an diesem Satz ist vielmehr die Bemerkung „weiter wie bisher“. In der Quelle beim DWD dafür findet man, was damit für die Emissionen gemeint ist:  In der Bildunterschrift zu Abb. 2.1. ist die Lösung: 

„…für die Szenarien Klimaschutzszenario RCP2.6, moderates Szenario RCP4.5 und Weiter-wie-bisher-Szenario RCP8.5…“ 

Der DWD benutzt tatsächlich die Vokabel „weiter wie bisher“, Englisch „Business as usual“ und verknüpft damit das Emissionsszenario RCP 8.5, das nur für Modellsimulationen entwickelt wurde! Es gibt eine Reihe von wissenschaftlicher Literatur, die das ablehnt, als Beispiel dieser „Nature“-Artikel

„The Business as usual story is misleading“

Will der DWD irreführen? Falls nein, sollte er die Zuordnung schleunigst ändern!  

Am Ende werden wir neugierig gemacht auf eine noch kommende „Attributionsstudie“. 

Hier ein Vorschlag, wie so etwas aussehen könnte:  

Wir wissen, dass zu Starkregen im Dezember eine positive NAO gehört, nur dann können Tiefdruckgebiete vom Atlantik her so „heranrauschen“ und solche Niederschlagsmengen produzieren. Der einzig physikalisch denkbare thermodynamische Grund für eine Intensivierung sind tatsächlich die Meerestemperaturen des Atlantiks, weil es bei wärmeren mehr Verdunstung und damit mehr Feuchtigkeit in der Atmosphäre gibt. Also untersuche man über einen hinreichend langen Zeitraum (hier die letzten 101 Jahre), wie sich die Dezember-SST des Gebietes auf den Dezemberniederschlag auswirken, und zwar NUR in Jahren mit positiver Dezember-NAO, es sind deren 51: 

Abb. 7: Die Korrelation des Dezember- Niederschlags in Niedersachsen mit den SST des Nordatlantiks nördlich 40°N in Jahren mit einer positiven NAO im Dezember 1923-2023. Daten: ERSSTv5, DWD. 

Man sollte einen positiven Zusammenhang erwarten: Je wärmer der Ozean, desto mehr Niederschlag. Die Punktwolke erzeugt jedoch vielmehr einen zarten (nicht signifikanten) negativen Trend. Das ist nicht physikalisch!  

Er zeigt jedoch, dass da derart viele Faktoren wirken, natürliche Variabilität, dass der (nur) theoretisch mögliche Einfluss der SST völlig in den Schatten gestellt wird, ihre Wirkung auf Niederschläge hierzulande im komplexen Klimasystem real nicht vorhanden ist. Man beachte auch die starken Mengen bei sehr kühlen SST im linken Teil von Abb. 7. 

Kurz und gut also die Zusammenfassung: Wir sehen KEINEN Einfluss des Klimawandels via Nordatlantik-SST auf das fragliche Ereignis in Niedersachsen und Sachsen- Anhalt. Die entsprechenden Seiten des DWD-Berichts ändern daran auch nichts, sind in manchen Teilen darüber hinaus irreführend, weil sie mehrfach Daten in für den Zweck ungeeigneten Zeiträumen betrachtet. Sie vermischt auch natürliche Oszillationen wie NAO und ENSO mit menschgemachten Einflüssen. Gespannt dürfen wir jedoch auf eine angekündigte „Attributionsstudie“ sein.  

Dass sie ein klares Ergebnis haben wird, darf bezweifelt werden. Vielleicht wird sie Modelle mit der realen Welt vergleichen. Ausgerechnet beim Niederschlag wäre das jedoch wohl nur eine Rechenübung, keine in Physik. Die sagt: Ein Einfluss des Klimawandels auf das Flutereignis ist nicht nachweisbar, wenn man Evidenz mit realen irdischen Daten gewinnen möchte. Wenn nicht, ist alles möglich… nur hat das mit Empirie, dem Kerngeschäft des DWD, dann nicht mehr viel zu tun.        

     

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