Sie dürften die Wunderwaffen im Klimakampf sein: Kipp-Punkte. Wir hatten schon einmal über die Zweckentfremdung des ursprünglichen Wortes “Tipping Point” berichtet. Malcom Gladwell hatte in seinen 2002 erschienen gleichnamigen Buch eigentlich etwas Positives im Sinn bei dem Wort.
“Eine totgesagte Schuhmarke, die über Nacht zum ultimativ angesagten Modeartikel wird. Ein neu eröffnetes Restaurant, das sofort zum absoluten Renner wird. Der Roman einer unbekannten Autorin, der ohne Werbung zum Bestseller wird. Für den magischen Moment, der eine Lawine lostreten und einen neuen Trend begründen kann, gibt es zahlreiche Beispiele. Wie ein Virus breitet sich das Neue einer Epidemie gleich unaufhaltsam flächendeckend aus. So wie eine einzelne kranke Person eine Grippewelle auslösen kann, genügt ein winziger, gezielter Schubs, um einen Modetrend zu setzen, ein neues Produkt als Massenware durchzusetzen oder die Kriminalitätsrate in einer Großstadt zu senken. „Tipping Point“ zeigt, wie wenig Aufwand zu einem Mega-Erfolg führen kann.”
Heutzutage zuckt fast jeder beim Hören des Wortes zusammen, weil Kipp-Punkte mittlerweile eine ausschließlich negative Bedeutung haben. Sie sind ein gutes Beispiel für Framing. Anläßlich der Klimakonferenz COP28 spielen Kipp-Punkte wieder eine große Rolle. Zufällig erschien zur Konferenz eine Studie zu genau diesen Kipp-Punkten. Die Tagesschau hat dazu einen erstaunlich ausgeglichenen Beitrag, denn so eindeutig wie die Verfechter der Kipp-Punkte-Theorie es sich denken, ist es offenbar nicht. Das sagen jedenfalls die Klimaforscher Knutti und Latif.
“Inwiefern sich Kipppunkte für die Kommunikation von Klimarisiken eignen, ist unter Forschenden umstritten. Denn schon über die Anzahl der Kipppunkte im Erdsystem ist die Wissenschaft uneins. Der neue Bericht benennt 25 Kipppunkte im Erdsystem, das Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung (PIK) schreibt von 16 solcher Kipppunkte, bei manchen hat das Kippen regionale Konsequenzen bei anderen sind sie global. Die Helmholtz Klima Initiative nennt auf ihren Seiten 14.
Auch der Weltklimarat (IPCC) hatte in seinem vierten Sachstandsbericht 2007 versucht herauszustellen, was bereits über die Kipppunkte bekannt ist. Reto Knutti, Klimatologe an der ETH Zürich war einer der Autoren. Auch er sagt: „Es gab viele Unsicherheiten. Deshalb ist der Text dazu knappgehalten.“ Auch einer der bekanntesten Klimaforscher, Mojib Latif, Meteorologe und Ozeanograph vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung, betont: „Das Konzept der Kipppunkte ist nur so gut, wie auch seine Unsicherheit diskutiert wird.“”
Axel Bojanowksi kommentiert die Kipp-Punkte in der Welt (Bezahlartikel) und lässt Jochem Marotzke zu Wort kommen.
“Doch kritische Einwände hat der „Global Tipping Points Report“ ausgeblendet, auch bei den naturwissenschaftlichen Aspekten: Führende Klimaforscher haben sich skeptisch über die Kipppunkte-Warnungen geäußert, beispielsweise die Direktoren des Max-Planck-Instituts für Meteorologie, eines der renommiertesten Klimaforschungsinstitute. Doch sie kommen nicht zu Wort im neuen Report. „Ehe wir uns auf künftige Nichtlinearitäten im Klimageschehen einstellen, sollten wir uns vergewissern, dass es sie überhaupt gibt“, kommentierte Jochem Marotzke, Co-Direktor des Max-Planck-Instituts, die Kipppunkte-Theorien. „Die Erfahrung hat mich gelehrt, dass die Nichtlinearitäten umso weniger sichtbar werden, je komplexer wir unsere Modelle konstruieren“, sagte Marotzke. Je realistischer das System, das auf dem Computer simuliert werde, desto stabiler scheine es zu werden.”
Sein Fazit: Kipp-Punkte sind ein prima Marketing-Tool. Und genauso werden sie eingesetzt.
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Aktuell kommt sehr viel LNG in Europa an, wie Montel berichtet.
“Die LNG-Importe nach Europa und in die Türkei sind in der vergangenen Woche um mehr als 17% zur Vorwoche gestiegen und haben damit den höchsten Stand seit mehr als sechs Monaten erreicht, zeigten Kpler-Daten am Montag. […] Gegenüber dem Vorjahresmonat gingen die LNG-Ankünfte jedoch um 8% zurück. […] Neben den hohen LNG-Ankünften hat Europa auch weiterhin hohe Gasspeicherbestände und die Flüsse aus Norwegen bleiben ebenfalls hoch.”
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Finnen bei Sinnen: Finnlands Außenministerin Valtonen schüttelt den Kopf über Deutschland in der Bild.
“Valtonen: „Wir investieren in die Kernkraft, weil wir sehen, dass sie klimaneutral ist und in dieser Übergangsphase sehr viel besser für den Kampf gegen den Klimawandel geeignet ist als Kohle und andere fossile Energieträger.“
Deutschland hat Gas als Übergangstechnologie gewählt. Nach BILD-Informationen soll Wirtschaftsminister Robert Habeck (54, Grüne) am Mittwoch im Energie-Ausschusses gesagt haben, dass „fossile Kraftwerke länger laufen müssen, wenn wir nicht in einer sicheren Versorgungslage sind“. Da der Gas-Ausbau so langsam läuft, muss wohl die Kohle länger am Netz bleiben!
„Wir werden ab 2035 schon klimaneutral sein, indem wir sehr viele verschiedene Energiequellen einsetzen. Bei uns stellt die Kernenergie für Klimaschutz die Basis dar“, lautet Valtonens Versprechen.
Während Länder, die die Kernkraft nutzen, nah an der Klimaneutralität sind, hatte Deutschland im November den schmutzigsten Strom der EU nach Polen und Tschechien – trotz starker Windkraft-Werte.”
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Die Welt wird nicht untergehen! Das sagt Fritz Vahrenholt einem Interview mit Philip Hopf. Der Titel es Videos bei YouTube ist allerdings etwas irreführend, denn nicht die grundsätzliche Klimawirkung von CO2 steht in der Diskussion, sondern deren Anteil am Klimawandel. Es geht vielmehr um Wärmeinsel-Effekte, den Einfluss der Sonne und die Entwicklung der Wolkenbedeckung und der Verdünnung der Wolken in den letzten Jahren.
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Ob Volker Quaschning die weltweiten Zahlen zur Stromproduktion kennt? Man darf Zweifel haben, nach einem Interview mit dem WDR. Dort bezeichnet der aus Funk und Fernsehen bekannte Mann Kernenergie als Scheinriesen. Ein Blick auf Our Wold in Data zeigt, wie die Lage wirklich ist.
(Abbildung: Screenshot OurWorldInData)
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Der Kampf um das Klima wird immer mehr in die Gerichtssäle verlegt. Gemäss übereinstimmenden Erhebungen gibt es mittlerweile bereits über 2000 Klimaklagen. Alex Reichmuth ist dem Thema im Nebelspalter (https://www.nebelspalter.ch/themen/2023/12/wenn-richter-ueber-die-klimapolitik-entscheiden) nachgegangen.
Reichmuths Faktencheck
Wenn Richter über die Klimapolitik entscheiden
Die Annahme: Die Klimapolitik wird politisch festgelegt. Es bestimmen Parlamente, Regierungen und eventuell direkt das Volk.
Warum das wichtig ist: Die Annahme trifft immer weniger zu. Der Klimakampf wird vermehrt in den Gerichtssälen entschieden. Laut zwei übereinstimmenden Erhebungen sind weltweit bereits über 2000 Klimaklagen eingereicht worden.
O-Ton: «Die Menschen wenden sich zunehmend an die Gerichte, um die Klimakrise zu bekämpfen.» (Inger Andersen, Exekutivdirektorin des Uno-Umweltprogramms UNEP, siehe hier)
Den ganzen Artikel im Nebelspalter (https://www.nebelspalter.ch/themen/2023/12/wenn-richter-ueber-die-klimapolitik-entscheiden) lesen (kann nach 20 Sekunden Werbung freigeschaltet werden).
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Roberts et al. auf The Conversation:
Why are people still flying to climate conferences by private jet?
Rishi Sunak, David Cameron and King Charles are just three of the more than 70,000 delegates from nearly 200 countries at the latest UN climate summit in Dubai, COP28. But they are among hundreds who will have travelled there by private jet. In fact, the UK prime minister, foreign secretary and king even travelled in three separate planes.
At COP27 in Egypt last year, around 315 private jet journeys took place. This is an extraordinary statistic, especially as fewer world leaders attended that COP, as many were busy at a G20 summit in Bali.
That’s why we set up a team of academic experts to estimate the carbon footprint of travel to this year’s meeting, COP28 in Dubai, for different modes of transport including private jets. We ultimately want to empower attendees to make informed climate-conscious travel choices.
We also compared the carbon footprints for the past three COPs to help see where the conferences could be located in order to dissuade attendees from using private jets, unless absolutely essential for security. The use of private jets last year – and presumably this year too, though we don’t yet have full data – suggests this is becoming the new norm and has moved beyond just essential world leaders.
Carbon footprint of transport modes
Flying is already one of the most carbon-intensive forms of travel both due to emissions from burning jet fuel and because vapour trails help create high altitude clouds which trap more heat in the atmosphere. It’s also particularly hard to decarbonise – there aren’t electric planes we could simply use instead.
Private jet travel is the most polluting mode of all, consuming lots of fuel yet carrying few passengers. French economist Thomas Piketty argues they are an example of class inequality and must be tackled if we are to deal with climate change.
Their use by high-profile people clearly undermines the goal of a climate conference and symbolises a disconnect between environmental concerns and individual actions and a lack of commitment to sustainable practices. This in turn risks shaping and influencing public opinion. Previous research suggests members of the public take climate action less seriously if they feel that their leaders are not doing their bit.
We started by looking at the use of private jets for COP27 in Egypt (our results are available as a preprint ahead of formal peer-review). Most private flights were short-haul, often just an hour between the capital Cairo and the conference venue in Sharm El-Sheikh. Over shorter distances, planes are even less efficient as take off and landing burns more fuel compared to cruising.
So avoiding short flights and private jets is a must. With this in mind, we explored a range of travel options to get to COP28 in Dubai for participants from the UK, where we’re based.
For a journey from London to Dubai, private jet travel is 11 times more polluting than a commercial aircraft, 35 times more than train and 52 times more than coach travel (even after factoring in a flight from Istanbul, since you can’t go all the way to Dubai by train or coach). For those flying from the UK, the longer flight to Dubai compared to Egypt means emissions will be higher this year.
Location of COP
Some of the blame for flight emissions must lie with the UN body which decides where COP meetings will be held, the UNFCCC. Dubai is surrounded by conflict zones, which block land routes from Europe, Asia and Africa and makes flying there essential.
While most delegates will want to travel sustainability, their actions will depend on the accessibility of alternative forms of travel such as safe land routes and for those coming from further away at least the option of direct flights to minimise their carbon emissions.
In this respect Dubai is a good choice as it is a major airline hub and so there are many direct flights and less need for second or internal flights.
Our analysis highlights the need to consider very carefully the carbon footprint implications of travel to COP meetings. Ultimately policymakers will need to identify host locations for climate change meetings which can help to minimise the carbon footprint of the participants.
Private jets are still not advisable, however. Their carbon footprint is substantially higher than other forms of transport, they exacerbate existing inequities at climate negotiations and send the wrong message to the world.