Die Abflussmenge des Rheins verändert sich nicht linear, sondern ´schwingt´ multidekadisch
von Dr. Hans-J. Dammschneider (IFHGK)
Die Unruhe in der (Fracht-)Rheinschifffahrt und bei deren Logistikern ist im Juli 2023 gross: Der Fluss führt relativ wenig Wasser, grössere Transporte auf dem Weg stromauf Richtung Basel ´hängen´ daher schon mal auf der Strecke/in den Häfen fest, die Abladetiefen gehen zeitweise zurück … und vor allem der hydrologische Trend, so wie er wahrgenommen wird, scheint eine kleine Katastrophe für das Speditionswesen heraufzubeschwören.
Aber stimmt das so? Oder ist alles nur gemäss des Rantanplan(*)-Mottos als „Keine Panik ohne mich“ zu verstehen? Klappern gehört zum Handwerk und Jammern kann politisches Handeln beeinflussen … die Rheinschifffahrt ist wichtig für die deutsche Volkswirtschaft und sie beinhaltet ein hohes betriebswirtschaftliches Risiko für die Auftraggeber bzw. Adressaten von Lieferungen, welches man seitens der Reedereien und Transportunternehmen möglichst minimieren möchte.
„Der Rhein ist die mit Abstand wichtigste Wasserstraße für die deutsche Industrie. Doch das Niedrigwasser macht sie immer häufiger (…) nur beschränkt befahrbar. WELT-online zeigt, wie aufwändig sich BASF, Bayer oder Covestro darauf einstellen – und warum sie ein Versagen der Politik sehen“ (WELT-online 18.7.2023 „Risiko Rhein – so sehr schwächt er Deutschlands Industrieriesen“)
Weiter zitiert die WELT im i.o. Artikel den 53-jährigen Logistikexperten Peterzelka:
„So früh im Jahr schon Sandbänke und breite Kiesstrände, das gab es früher nicht.“
WELT-online dramatisiert daraufhin ein wenig:
„Der Klimawandel macht Peterzelkas Job (…) zur Herkulesaufgabe“.
Was den Einsatzplaner Peterzelka hier so aufregt und umtreibt, das sind die Pegelstände des Rheins … denn wenn er die Flusssohle ´trocken´ sieht, ist (logisch) zu wenig Wasser in dessen Bett:
„Die Frequenz der Niedrigwasser am Rhein hat ganz klar zugenommen, und die Dürrephasen beginnen zunehmend früher im Jahr und dauern immer länger“.
Je seichter der Fluss ist, desto weniger Ladung kann das Schiff aufnehmen. Sein Kollege Manager Arndt ´rechnet nicht damit, dass der Rhein in 30 Jahren noch schleusenfrei befahrbar sein wird´:
„Die Politik müsste sich frühzeitig Gedanken darum machen, wo man Staustufen einbauen könnte, damit das knappe Wasser in Zukunft nicht mehr unkontrolliert abfließt.“
Das Problem einer schwankenden Wasserführung ist allerdings kein wirklich neues Problem. Je nach Schneeschmelze der Alpen im Frühjahr, regional unterschiedlich starken und zudem im Einzugsgebiet ungleich verteilten bzw. gewichteten Niederschlagsmengen (und Laufzeiten) ändert sich die Wasserführung des Rheins, auf ganz natürliche Weise und schon lange bevor der Begriff Klimawandel aufkam. Für die Schifffahrt war das also immer ein Risiko und bedurfte der genauen Beobachtung sowie Anpassung. Schiffsgrössen und Ablademengen wurden und werden sozusagen seit Jahrhunderten dem „Pegel“ des Rheins unterworfen. Flussregulierungen hat man auf diversen Abschnitten des Rheins vorgenommen, man denke beispielsweise nur an den Bereich zwischen Karlsruhe und Mannheim. Am Oberrhein wurden schon ab 1817 Begradigungen durchgeführt, J.G.TULLA hiess der (damals) als genial geltende Wasserbauingenieur.
Aber wie auch immer: Es mag kommen was will, irgendwas läuft ja bekanntlich dann doch gegen den Strich. Zur Zeit also sind es die zu geringen Wasserstände und die o.a. Forderung nach weiteren Staustufen kommt geradezu zwangsläufig wieder auf´s Tapet.
Was deren bautechnische Umsetzung betrifft, da bestehen grosse Zweifel. Denn bereits rein ökologisch gedacht sind Staustufen für nahezu alle mehr oder weniger grün geprägten Umweltpolitiker (wer ist das nicht?!) ein absolutes No-Go. Eher würde man wohl den Rhein streckenweise vertiefen wollen, was allerdings die Wasserstandsprobleme nicht grundsätzlich löst, und so bleibt WELT-online tatsächlich nur der knappe Hinweis: „Fahrrinne sollte ausgebaggert werden, doch nichts passiert“.
Prüfen wir die Faktenlage der Wasserführung des Rheins und nehmen die Grafik aus dem bereits zitierten Artikel von WELT-online:
Abb. 1: Wasserstände des Rheins am Pegel Köln, Zeitraum 2000-2023 (aus WELT-online vom 18.7.2023)
Die Abbildung zeigt in der Tat recht genau an, was die o.a. Logistik-Manager seit geraumer Zeit umtreibt: Die Wasserstände des Rheins fallen im Zeitraum 2000-2023 tendenziell ab. In rd. 20 Jahren Wasserstandsaufzeichnung/ -statistik haben die Niedrigwasserlagen zugenommen, und das sieht in der Tat aus Sicht der Schifffahrt nicht gut aus.
Sorgen macht aber nicht nur das was IST, sondern man fürchtet um die Zukunft … bleibt das so mit dem Trend? Ist es schon der KLIMAWANDEL, der böse Bube, der uns hier plagt? Und, klar, die Speditionen wollen baldmöglichst wissen, welche Befürchtungen in den kommenden Jahren noch auf die Lieferketten/ den Rhein/ die Schifffahrt zukommen könnten.
Aber leider steht auch oftmals der Ausspruch „Keine Panik ohne mich“ im Raum … schauen wir also zuerst mal nach, was in der Vergangenheit gewesen ist. Aus der Geschichte kann man sehr viel lernen, selbst in der ´Gewässerkunde´.
Abb. 2: Niedrigster Jahresabfluss am Pegel Köln (nach Daten des WSA Rhein, pers. Mitteilung)
Wir erkennen, dass der (hier in Abb. 2 gewählte) Verlauf der ´niedrigsten Abflüsse´ am Pegel Köln über die Zeit seit 1900 i.M. leicht angestiegen (!) ist. Allerdings mit grösseren Schwankungen. Zu Beginn der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts war es vorübergehend schon mal ´knapp´ mit dem Rheinwasser und vor allem vom Ende der 40er bis zum Beginn der 60er Jahre war relativ wenig Abfluss vorhanden … und damals teils sogar noch unterhalb des Niveaus von heute.
Der von WELT-online im Artikel dargestellte und beklagte Niedrigwasser-Zeitraum bzw. -Abstiegstrend ist natürlich nur jener ab dem Jahr 2000, der in der Abbildung 2 mit einer dicken roten gerissenen Linie markiert wurde.
Vor allem die Abb. 1 zeigt durchaus, dass wieder kurze Intervalle mit Wasserständen/ Abflüssen auftreten, die die Schifffahrt in ihren Ladungsmengen beschränken. Ist das jetzt jedoch, ohne dass wir wirklich Hellseher sein können, eine Sache, die zu zunehmender Besorgnis Anlass gibt?
Das kommt wohl darauf an, wie man so sagt: Ein fachlich versierter Hydrologe und Klimatologe ist da jedenfalls noch ganz entspannt … solche „Rückschläge“ kommen eben vor. Ein Logistiker am Rhein verfällt aber offenbar bereits in eine gewisse Panik (siehe oben) und denkt sich „wenn das aber so weitergeht, dann … “.
Betrachtungs- und Vorgehensweise müssen in der Hydrologie so gewählt werden, dass sie nicht nur Vordergründiges hervorheben, sondern Überlegungen (die über die Zeit gelten müssen) sollen vor allem so angesetzt und bemessen werden, dass darin (und in der Abfolge z.B. der Abflüsse) eventuelle ´Muster´ erkennbar werden können. Denn es handelt sich um Natur-Wissenschaft und keine Kaffeesatzleserei … .
Und wo man zunächst nichts weiter als Linearität vermutet (siehe Abb. 2), darin verbirgt sich oft auch die eine oder weitere (vorübergehende) ´Delle´. Die Frage, die sich sofort anschliesst ist daher: Haben wir es bei einer (oder sogar mehreren) „Dellen“ wie o.a. vielleicht mit gewissen Regelmässigkeiten zu tun? Oder könnte sich darin sogar so etwas wie eine Schwingung verbergen! Ist die vordergründige Linearität vor allem ein statistischer ´Strich´? Und darf/ muss man vielleicht davon ausgehen, dass „keine Panik ohne mich“ nur eine begrenzte Halbwertzeit hat und nach einem ´Unten´ (geringere Wasserstände) auch wieder ein ´Oben´ (mehr Abfluss) kommt?
Leider neigt die Natur/das Wetter mindestens und immer wieder zu sogenannten Ausreissern. Kontinuierliche Einfachheit im Verlauf ist quasi ´nicht ihr Ding´. Das wird in der Wissenschaft auch allenthalben akzeptiert (was auch sonst) und dennoch neigt ein (vielleicht ungeschulter Betrachter) oftmals dazu, in grafischen Verläufen eben nur die Einfachheit einer Linearität erkennen zu wollen und nicht das, was auch im Verlauf (hier) einer langjährigen Abflussganglinie steckt, nämlich eine Schwingung!
Das Beispiel der Abflüsse des Rheins kann dazu anschaulich aufzeigen, was (u.a.) seit dem Jahr 2000 passiert: Es handelt sich um eine vermutlich ganz normale, im Rhythmus meteorologischer Varianzen (**) erfolgende Abnahme der Wassermengen am Pegel Köln … die sich auch wieder auf ganz natürliche Art und Weise stabilisieren kann. Die Abb. 1 und 2 mögen zwar im ersten Moment dazu verführen, in der jüngsten Abnahme der Abflussmengen eine besonders schnelle und dramatische Reduzierung zu sehen. Aber das ist mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht der Fall, bereits zwischen 1935 und 1955 verlief der ´Abstieg´ der Abflüsse ganz ähnlich wie derzeit seit dem Jahr 2000. Dies zeigt sehr eindrücklich (mit den gleichen Daten wie Abb. 2 !) die Abbildung 3:
Abb. 3: Niedrigster Jahresabfluss am Pegel KÖLN, nach Daten des WSA Rhein (2023), oben.
Multidekadische Schwingung des globalen Erwärmungstrends nach OMRANI et al (2022).
„Versatz“ der Abfluss- und Temperatur-Schwingungsfrequenz i.M. rd. 20 Jahre
(**) Anmerkung: Es geht in der oft aufgeregten Diskussion um den sogenannten Klimawandel leicht vergessen, dass „Klima“ nichts weiter ist als das „mittlere Wetter der letzten 30 Jahre“, also ein ´Klimawandel´ nur zeigt, dass sich die Mittelwerte aus 30 Jahren Temperatur- oder Niederschlagsmessung geändert haben: Betrugen die Lufttemperaturen in Deutschland in der sogenannten Normalperiode 1961-1990 rd. 8,2 Grad C, liegen sie im darauffolgenden Bemessungszeitraum (1991-2020) bei 9,5 Grad C. Das ist eine Veränderung, keine Frage. Ob es aber auch ein wirklicher „Wandel“ ist, kann man frühestens in 30 Jahren erkennen. Denn sollten die Temperaturen auch mal wieder zurückgehen, dann ist es eben doch ´nur´ eine Zyklizität gewesen. Wir werden es sehen!
Fakt ist also, dass der langfristige Jahresabfluss des Rheins (Abb. 2 bei Köln) seit Ende des 19. Jahrhunderts einen Anstieg zeigt. Diese Zunahme ist allerdings keineswegs durchgehend, sondern verläuft (wie der grösste Teil aller Klima-Parameter) in einer längeren Schwingung (fett gedruckte orange Linie in Abb. 3). Letzter Höhepunkt der Zyklizität (?) war im Jahr 2000. Ab diesem Zeitpunkt setzt erneut ein Rückgang der Abflüsse ein. Dieser Rückgang ist durchaus ähnlich ´steil´ wie jener, der zwischen 1935 und 1960 erkennbar wird … also nichts Neues unter der Sonne?
Abb. 4: Niedrigste Sommer-Abflüsse am Pegel Köln (Daten WSA Rhein, pers. Mitteilung)
Apropos Sommer und Sonne: Auch die zeitlich auf die Sommermonate eingeschränkte Darstellung der Abflüsse (Abb. 4) unterliegt dem nahezu gleichen Rhythmus. Allerdings nehmen die jährlichen Sommer-Abflussmengen über die Beobachtungszeit von 1900 bis heute insgesamt ganz leicht ab. Dennoch liegen die Mengen des Jahres 2022 noch immer über jenen der zweiten Hälfte der 40er Jahre. Das ist ganz gewiss keine Sache, die die Rheinschifffahrt erfreut … aber trotzdem auch „keine Panik ohne mich“ auslösen sollte.
In den mittleren Abflüssen des Rheins am Pegel Köln ´verwischen´ die multidekadischen Schwingungen dann allerdings. Klar erkennbar sind in Abb. 5 ab 1980 aber die i.M. zurückgehenden Abflussmengen. Nur, das sollte man nicht übersehen, gerade hier in den Mittelwerten der Abflüsse kommt zum Ausdruck, wieviel Wasser dennoch auch derzeit noch den Rhein herabströmt: Vor 1980 waren die Abflüsse i.M. jedenfalls oft auf einem geringeren Niveau als jenem der letzten Jahre.
Abb. 5: Mittlerer Abfluss am Pegel Köln (Daten des WSA Rhein 2023, pers. Mitteilung)
Die höchsten Abflüsse (>10.000 m3/sec) des Rheins am Pegel Köln traten zuletzt Mitte der 90er Jahre auf (siehe Abb. 6). Seither sind zwar die Maxima abgesunken, dessen ungeachtet ist jedoch insgesamt keineswegs eine ungewöhnliche Abnahme der Wassermengen zu erkennen. Auch wenn der Trend in den Maxima seit rd. 30 Jahren leicht negativ ist, liegen grundsätzlich keine ungewöhnlichen Abweichungen vor … „keine Panik ohne mich“?!
Abb. 6: Höchste Abflüsse am Pegel Köln im Zeitraum 1900 bis 2023 (Daten des WSA Rhein, pers. Mitteilung)
Nun haben wir in den Betrachtungen nur das IST und die Vergangenheit berücksichtigt. Aber was dürfen wir in der Zukunft erwarten? Ist die Sorge des in WELT-online zitierten Logistikers über eine vielleicht weiter abnehmende Wasserführung des Rheins berechtigt?
Dazu hat die internationale Kommission für die Hydrologie des Rheingebietes (KHR), eine Organisation, in der wissenschaftliche Institutionen der Rheinanliegerstaaten gemeinsam hydrologische Grundlagen für die nachhaltige Entwicklung im Rheingebiet erarbeiten, eine Studie erstellen lassen. STAHL et al (2022) untersuchen die möglichen Abfluss-Veränderungen im Einzugsgebiet des Rheins.
Natürlich können auch diese Autoren nicht hellsehen. Also verwenden sie das in den Klimawissenschaften so beliebte Mittel der ´prognostizierenden´ Modellrechnungen. Aber erstens sind es nicht wirklich Prognosen, die sich als Zahlenwerk ergeben, sondern nur grob abschätzende Szenarien. Zudem ist es ein Problem, dass dafür Annahmen aus einer Bandbreite (!) von Parameter-Möglichkeiten getroffen werden müssen und zum weiteren ist es sehr schwierig, eine geeignete ´Mathematik´ zu finden, mit der diese Werte sozusagen kalkulierbar werden.
Solche Modellrechnungen sind also nach wie vor stark umstritten und es ist unklar, welche Eingangsszenarien (ja, auch im „Eingang“ sind es bereits nur Szenarien!) man verwenden soll bzw. darf. Denn diese reichen von einer quantitativ moderaten Einpflege klimatischer Randbedingungen (vor allem des CO2) mit relativ moderat ansteigenden Werten im sogenannten IPCC-Szenario RCP 2.6 bis zur absoluten worst case Annahme des Szenario RCP 8.5 (extremer Anstieg des CO2 von heute rd. 400 ppm auf nahezu 1.400 ppm).
In allen Varianten, die der IPCC („Weltklimarat“) darstellt, ergibt sich, dass die Niederschläge sich weitgehend nach einem Muster entwickeln sollen, in dem die ohnehin trockenen Gebiete trockener und die feuchten Gebiete feuchter werden. Dies ist auch im wahrscheinlichsten Fall des relativ schwächeren Szenarios RCP 2.6 so (siehe Abb. 7) … „wenn auch in geringem Ausmaß“. Im RCP-Szenario 8.5 hingegen betragen diese Abnahmen der Regen-/Schneeschmelzmengen im Sommer min. 50 bis 75 % und das ist sozusagen mal eine ganz andere ´Hausnummer´.
Abb. 7: „Szenarien“ des IPCC, die unter der Annahme verschiedener Entwicklungen (vor allem des CO2-Gehalts der Atmosphäre) prognostiziert werden und aufzeigen, mit welchen Folgen die Menschheit über die nächsten 80 Jahre rechnen könnte … die Variante RCP2.6 (grün) zeigt die schwächste (aber auch wahrscheinlichste) Entwicklung auf, bei der die globalen Temperaturen um max. 2 Grad C ansteigen würden. In der Variante RCP4.5 (gelb) handelt es sich um eine mittlere ´Prognose´ und bei der Variante RCP8.5 (rot), dem sogenannten worst-case-Fall, soll es zu einer Zunahme der globalen Lufttemperaturen von bis zu 8 Grad C kommen … F4F oder die letzte Generation ´bevorzugen´ diese letztere, alarmistische Version! Quelle: https://wiki.bildungs-server.de/klimawandel/index.php/RCP-Szenarien nach ´Deutsches Klimarechenzentrum (DKRZ) Globale Mitteltemperatur´
Beim schlimmst denkbaren Szenario RCP8.5 beträgt der Anstieg der globalen Mitteltemperatur bis zum Jahr 2100 etwa 4,8 °C im Vergleich mit dem vorindustriellen Zustand (bzw. 4 °C gegenüber 1986-2005). Bei dem Szenario RCP2.6 bleibt der mittlere globale Temperaturanstieg des Modells dagegen unter dem 2-Grad-Ziel … und letzteres sollte realistisch auch so zu erwarten sein!
Womit arbeitet nun die Veröffentlichung von STAHL et al (2022), die die „Auswirkungen des Klimawandels auf die Abflussanteile aus Regen, Schnee und Gletscherschmelze im Rhein und seinen Zuflüssen“ untersuchen? Nun, sie verwendet genau jenes Szenario, das im Konsens des Grossteils der Klimawissenschaftler als das mit Abstand unwahrscheinlichste anzusehen ist, nämlich die Variante RCP8.5 !? STAHL et al (2022) wörtlich: „Im Projekt wurden transiente Klimamodellläufe nur eines ´Repräsentativen Konzentrationspfads´ (RCP) betrachtet: RCP8.5 . (Er) bildet eine worst-Case-Veränderung bei späten Maßnahmen zur CO₂-Reduktion ab“.
In der Tat beschreibt das Szenario „RCP8.5“ eine mögliche Entwicklung, in der die globalen CO2-Emissionen ungebremst zunehmen, sodass bis zum Jahr 2100 eine extreme Erwärmung zu erwarten wäre. Dies wird in den Klimawissenschaften aber inzwischen (und wie gesagt) als äusserst unwahrscheinlich bezeichnet. Dennoch wurde in den Untersuchungen von STAHL et al (2022) zu den möglichen zukünftigen Veränderungen der Rheinabflüsse genau diese Variante zugrunde gelegt … .
Die Annahme dieser Klimawandelversion RCP8.5 führt dazu, dass in den Modellrechnungen ´natürlich´ genau das herauskommt, was man sich selbst als Laie bereits schnell zusammenreimen kann: Es wird immer weniger Abfluss für den Rhein zu erwarten sein. Die Ergebnisse der auf dem RCP8.5 Szenario basierenden Studie zeigen, „dass mit großen Veränderungen im Abfluss des Rheins zu rechnen ist und dass besonders Situationen mit geringen Abflüssen vergleichbar zu 2003 oder 2018 häufiger auftreten werden. Deshalb ist eine nachhaltige Anpassung an den Klimawandel zur Sicherstellung der Nutzungen des Rheins, aber auch zum Schutz des Lebens im Rhein notwendig.“ Es sei wichtig, „das Klima zu schützen und den Ausstoß von Treibhausgasen zu reduzieren, um die zukünftigen Veränderungen im Abfluss möglichst gering zu halten“ (STAHL et al 2022, Seite 4).
Dummerweise, aber das sei nur am Rande vermerkt, kann man Klima nicht „schützen“. Da aber auch ansonsten die Studie für die Praxis (wg. der unrealistischen RCP8.5-Annahme) eher weniger hilfreich ist, sollte man sich auch daran nicht mehr stören … .
Leider gehen die Autoren mit keinem Wort auf die inzwischen bekannten Varianzen der atlantischen AMO (Atlantic Multidecadal Oscillation, siehe z.B. LÜDECKE et al 2020) ein. OMRANI et al (2022, hier wiedergegeben in Abb. 3) zeigen, dass eine langfristige Schwingung über den eventuell zu erwartenden Veränderungen der Lufttemperaturen (und damit weiterer Parameter) liegt: In den nächsten Jahren dürfte in Europa tendenziell eher mit einer leichten Abnahme der Temperaturen zu rechnen sein denn mit einer ungebremsten Steigerung. Aber genau diese Information geht in das RCP8.5-Szenario zur Berechnung der möglicherweise zu erwartenden Veränderungen überhaupt nicht ein.
Schau´n wir also mal was wirklich kommt. Dass die für die Hydrologie des deutschen Rhein und seine bauliche Unterhaltung zuständige Wasser- und Schifffahrtsverwaltung (inkl. der Bundesanstalt für Gewässerkunde und der Bundesanstalt für Wasserbau) offenbar sehr zurückhaltend auf Forderungen aus der Rheinschifffahrt bzw. den Logistikunternehmen reagiert, dürfte auch darauf zurückzuführen sein, dass man die hier im Text dargestellten Entwicklungen der Hydrologie ebenfalls kennt … .
Literatur:
BELS, J.U.; BRAHMER, G.; BUITEFELD, ENGEL et al (2007): Das Abflussregime des Rheins und seiner Nebenflüsse
im 20. Jahrhundert – Analyse, Veränderungen, Trends. Bericht Nr. I-22 der KHR, Lelystad.
DAMMSCHNEIDER, H.-J. (2023): Zeitlich-räumliche Muster der nordatlantischen SST und die Zyklizität der AMO.
In: Schriftenreihe des Inst.f.Hydrographie, Geoökologie und Klimawissenschaften, Bd. 15,
2023
LÜDECKE, CINA, DAMMSCHNEIDER und LÜNING (2020): Decadal and multidecadal natural variability in
European temperature. In: Journal of Atmospheric and Solar-Terrestrial Physics, 205, 2020
OMRANI, NOUR-EDDINE et al (2022): Coupled stratosphere-troposphere-Atlantic multidecadal
oscillation and its importance for near-future climate projection.
In: Climate and Atmospheric Science (2022), 59
STAHL, K., WEILER, M., VAN TIEL, M., KOHN, I., HÄNSLER, A., FREUDIGER, D., SEIBERT, J., GERLINGER, K.,
MORETTI, G. (2022): Auswirkungen des Klimawandels auf die Abflussanteile aus Regen,
Schnee und Gletscherschmelze im Rhein und seinen Zuflüssen. Synthesebericht.
KHR Bericht Nr. I-28. Internationale Kommission für die Hydrologie des Rheingebietes
(KHR), Lelystad.
(*) „KEINE PANIK OHNE MICH“: Originalton ´Rantanplan´. Rantanplan ist „der“ Hund aus den ´Lucky Luke´ Comics: Seine Ängste sind gross, sein Schatten dabei aber intelligenter als er selbst. Siehe Bilder: https://bestehunde.de/comic-hunde.html und https://www.khalisi.com/comics/luckyluke/rantanplan/serie.html