Zweierlei Maß

Es ist schon sehr interessant, wenn Rechnungshöfe sich zum Thema Energie äußern und die Reaktionen darauf könnten kaum unterschiedlicher sein. 
 
Ein kleiner Blick zurück. In Deutschland hatte sich der Rechnungshof im März 2024 die Kosten der deutschen Energiewende angesehen und ist zu einem schlechten Urteil gekommen. 
 
Die FAZ seinerzeit:

Zu den Strompreisen heißt es, sie gehörten zu den höchsten in Europa, weitere Anstiege seien absehbar. So müssten bis 2045 mehr als 460 Milliarden Euro in die Netze fließen: „Das Wirtschaftsministerium berücksichtigt diese Systemkosten bisher nicht bei seiner Darstellung der Kosten für Strom aus erneuerbaren Energien.“ Eine staatliche Bezuschussung lehnt die Behörde indes ab, „dadurch entsteht ein falsches Bild der tatsächlichen Kosten der Transformation“. Den Tier- und Umweltschützern sprechen die Finanzkontrolleure aus der Seele, wenn er darauf hinweisen, dass der Ausbau der Erneuerbaren zuweilen die Natur belaste, etwa durch Flächen- und Ressourcenverbrauch oder Eingriffe in die Biodiversität. Die Bundesregierung habe die Schutzstandards gesenkt, um Genehmigungsverfahren zu beschleunigen, es aber unterlassen, ein wirksames „Ziel- und Monitoringsystem“ für die Umweltverträglichkeit aufzubauen. Insgesamt resümierte Scheller: „Die bisherigen Maßnahmen zur Umsetzung der Energiewende sind ungenügend und bergen daher gravierende Risiken für die energiepolitischen Ziele.“ Kurskorrekturen seien überfällig: „Die Risiken für die Energiewende und damit für unseren Wohlstand sind groß.

Natürlich hat dieses schlechte Zeugnis einigen der Energiewende-Fans nicht gefallen. Wir haben seinerzeit darüber berichtet, dass es sogar Verschwörungstheorien gab, denn es darf nicht sein, was nicht sein soll. Und überhaupt, was geht den Rechnungshof die schöne deutsche Energiewende an? So damals der Tenor.  

Der Rechnungshof analysiert, dass der Umbau des Netzes von einem zentralen auf ein dezentrales Netz mit erheblichen Kosten und Risiken verbunden ist. Dem widerspricht Müller schlauerweise auch nicht. Stattdessen hantiert er mit Börsenstrompreisen, die mittlerweile aber den kleinsten Teil der Stromrechnung ausmachen. Richtig peinlich ist die rosarote Brille, die der Rechnungshof der Netzagentur runterreißt. Die Bundesnetzagentur geht von Best-Case-Szenarien aus, was aber gefährlich ist. Die Wut, ganz besonders der Grünen, auf den Rechnungshof ist offensichtlich. Vielleicht ist man auch auf sich selbst wütend, dass man diese Institution beim Installieren von eigenen Truppen schlicht vergessen hat?  

Wie es sich für eine ordentliche Wut gehört, werden auch prompt Verschwörungstheorien verbreitet. Diese lautet, dass die Frau des Präsidenten Scheller in der Vergangenheit für Gazprom gearbeitet hat. Was liegt näher als zu glauben, Frau Scheller hat ihrem Mann den Bericht diktiert, damit Gazprom irgendwann wieder Gas nach Deutschland liefern kann. Dass Russland jemals wieder nennenswerte Mengen Gas nach Deutschland liefern wird, ist nach Lage der Dinge sehr unwahrscheinlich. Daher läuft dieser Vorwurf auch ins Leere.  

Deutschland wird seinen teuren und risikoreichen Weg weitergehen. Die Überbringer schlechter Botschaften stören da nur. Im Mittelalter hat man diese einfach getötet. Heutzutage stellt man sie einfach ins Abseits. Mal sehen, wann es Herrn Scheller erwischt? Wer den gesamten Bericht lesen möchte, der kann hier heruntergeladen werden. Mit wenig Zeit reicht es auch die Seiten 6-9 zu lesen. 

Nun aber wieder ein Rechnungshof, diesmal der aus Frankreich. 
Dort hat man sich die Kosten der Kernenergie angesehen, ganz besonders die des neuesten Blocks von Flamanville. Die Kosten dieser Anlage sind quasi explodiert, die Bauzeit hat sich erheblich verlängert. Die Kritik ist allem Anschein nach berechtigt, weil Flamanville zu deutlich höheren Preisen Strom produziert als prognostiziert. Das ist kein Wunder, wenn die Herstellungspreise durch die Decke gehen.  
 
Der Focus dazu: 

Der französische Energiekonzern EDF, der unter staatlicher Kontrolle steht, hatte im Jahr 2007 mit dem Bau des Reaktors begonnen. Ursprünglich sah der Plan vor, dass er 2012 ans Netz gehen sollte. EDF veranschlagte damals Kosten von rund 3,3 Milliarden Euro. Der nun veröffentlichte Bericht beziffert die Gesamtkosten des Baus auf 23,7 Milliarden Euro, mehr als das Siebenfache des ursprünglichen Budgets.  
 

Unter den dramatisch gestiegenen Kosten leidet auch die Rentabilität des Reaktors. Selbst im wohlwollendsten Szenario der Rechnungsprüfer müsste die EDF den Strom aus Flamanville 3 für über zwölf Cent pro Kilowattstunde verkaufen, um über die 60 Jahre Laufzeit hinweg einen Profit von vier Prozent zu erwirtschaften. In den laut Bericht wahrscheinlicheren Auslastungsszenarien läge der Preis sogar bei knapp 14 Cent. Zum Vergleich: Der Industrie-Abnahmepreis für Großverbraucher in Frankreich liegt derzeit bei 4,2 Cent pro Kilowattstunde.   

Ganz gewiss ist Flamanville ein gutes Beispiel für schlechte Planung und miserables Management. Warum aber die Fanboys der Energiewende (inkl. Focus) dieses Beispiel nehmen und nicht zu geglückten Projekten im Bereich Kernenergie schauen, das ist schon frappierend. Der Focus jedenfalls überträgt Flamanville stellvertretend auf die gesamte Branche. Doch stimmt das? 

Die Vereinigten Arabischen Emirate haben nämlich so gute Erfahrungen mit dem Bau von Kernkraftanalgen aus Korea gesammelt, dass sie sogar überlegen sich an solchen Kraftwerken in Europa zu beteiligen, selbst wenn diese nicht von koreanischen Firmen errichtet wurden.  

Telepolis

Die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) beabsichtigen, in den europäischen Energiesektor einzusteigen. Einem Bericht von Reuters zufolge interessieren sie sich insbesondere für Kernkraftwerke in Großbritannien, an denen sie sich beteiligen wollen. 

Die Emirates Nuclear Energy Company (ENEC) verfolgt demnach das Ziel, ein internationaler Akteur im Bereich der Kernenergie zu werden. Über Minderheitsbeteiligungen will sich das Unternehmen an Anlagen und Infrastruktur in verschiedenen Ländern beteiligen, ohne diese zu verwalten oder zu betreiben. 

ENEC gehört zum Staatsfonds ADQ von Abu Dhabi, mit dem sich das Land unabhängiger von den Einnahmen aus dem Gas- und Ölgeschäft machen will. Dies trifft sich mit den Bemühungen Großbritanniens, zusätzliche private Investitionen für das Kernkraftprojekt Sizewell C zu gewinnen, das vom französischen Energieriesen EDF im Südosten Englands gebaut wird. 

Vielleicht wissen die Investoren aus dem mittleren Osten einfach nur, dass gesicherte Leistung in Zeiten, in denen immer mehr ungesicherte Leistung in Europa aufgebaut wird, ein echtes Geschäft wird. 
Batteriespeicher werden, wenn überhaupt, nur Spitzen abdecken und der Joker Grüner Wasserstoff liegt ganz unten im Kartenstapel. 
 
Die Schnittmenge derjenigen, die im Frühjahr Schaum vor dem Mund hatten, als der deutsche Rechnungshof rügte und die gleichzeitig jetzt dem französischen Pendant zujubeln könnte sehr groß sein. 

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Klosterchroniken verraten: Mittelalterliche Mönche gerieten ganz schön ins Schwitzen

Von Dr. Hans-Joachim Dammschneider

Die sogenannte Mittelalterliche Warmzeit (MWP, Medieval Warm Period) ist seit Jahren Gegenstand wissenschaftlicher Diskussionen. Dabei geht es weniger darum, ob diese Warmphase in Europa tatsächlich stattfand, sondern vielmehr um die Frage, wie sie sich gestaltete/wie sie ablief. Handelte es sich um ein lokales Phänomen, das zeitlich begrenzt und überwiegend auf Europa beschränkt war, oder um eine Periode intensiver klimatischer Veränderungen, die sich auch global bemerkbar machten? Sicher ist: Ab etwa 950 n. Chr. gab es in Deutschland einen über min. 300 Jahre andauernden Temperaturanstieg, der eine markante agrar- und lebensfreundliche Warmphase bewirkte. Dieser Zeitabschnitt wurde spätestens ab Beginn des 14. Jahrhunderts jedoch von einem relativ raschen Temperaturabfall und klimatischen Turbulenzen in Richtung der sogenannten Kleinen Eiszeit abgelöst.

In den frühen Berichten widmete der IPCC (1990, AR1) der MWP noch relativ viel Aufmerksamkeit. Im Laufe der Jahre nahm dieser Fokus allerdings ab, und in der jüngsten Beurteilung (2021, AR6) wurde der mittelalterlichen Warmzeit nur noch wenig Platz eingeräumt. Oft wird in Studien sogar angezweifelt, dass es sich um ein globales Phänomen handelte. Eine von S. Lüning initiierte Kartierung der dazu verfügbaren wissenschaftlichen Publikationen (Stand 2022) zeigt jedoch, dass die Warmzeit durchaus über Kontinente hinweg Spuren hinterlassen hat.

Aus natur- und kulturhistorischer Perspektive belegen viele Darlegungen, dass sich Deutschland ab etwa 1000 n. Chr. in einer Phase intensiven kulturellen und wirtschaftlichen Aufschwungs befand. Zahlreiche Städtegründungen, die Ausweitung landwirtschaftlicher Nutzflächen und ein starkes Bevölkerungswachstum prägen diese Zeit. Wälder wurden gerodet, Bauweisen beeinflusst, und die steigenden Temperaturen sowie einer daraus resultierenden positiven Agrarwirtschaft trugen zur Prosperität bei.

Wissenschaftliche Methoden zur Erfassung des Wetters existierten natürlich nicht, doch moderne Klimaforschung nutzt sogenannte „Proxys“, um die damaligen Klimaparameter abzuleiten. Beispielsweise deuten der Anbau von Feigen nördlich von Köln, erfolgreiche Weinproduktion bis nach Schleswig-Holstein und (insgesamt) z.B. auch der sich aus zahlreichen Merkmalen ergebende PFISTER-Index auf eine längere Phase milder Temperaturen und günstiger klimatischer Bedingungen hin. Klima-numerische Rückwärtssimulationen bestätigen diese ´Warmzeit´ grundsätzlich.

Historisch betrachtet waren solche Abschnitte oft Perioden, in denen das Leben florierte – ein Gedanke, der in der Klimadiskussion für´s 21. Jahrhundert eine eher ambivalente Rolle spielt.

Am Beispiel des Klosters Walkenried bzw. der Südharzer Klosterlandschaft wird sichtbar, welche konkreten Folgen die MWP hatte: Die Urbarmachung sumpfiger Gebiete, der Aufbau der Oberharzer Wasserwirtschaft, die Förderung des Bergbaus und die intensive Holznutzung für Bau- und Energiezwecke sind nur einige Beispiele.

Diese Phase des klösterlichen Aufschwungs zwischen 1130 und 1300 n. Chr. wurde offenbar jedoch durch einen raschen Temperaturabfall beendet. Denn der Eintritt in Richtung ´Kleine Eiszeit´ brachte sehr ungemütliche Witterungsbedingungen, die bis an´s Ende des 18. Jahrhunderts reichen. Schon ab Beginn des 14. Jahrhunderts trafen zerstörerische Niederschläge und Hochwasser das Land („Schluchtenreisen“ / Magdalenenflut), Missernten folgten auf intensive Dürren (Dante-Anomalie) und verheerende Seuchen mit Millionen Toten in Epidemien zerstörten teils die Gesellschaftsstrukturen. Diese nicht zuletzt klimatisch bestimmten/indizierten Instabilitäten und Bedrängnisse hatten gewiss auch verheerende Auswirkungen auf die Lebensgrundlagen der Südharzer Klosterlandschaft. Sie führten zu erheblichen internen Krisen (u.a. Wegfall von Konversen und Laienbrüdern) und letztlich dem Ende des Walkenrieder Kloster-´Konzerns´ (mit Aufgabe weiter Bereiche des Harzer Erz-Bergbaus) im 15.Jahrhundert.

Wenn es so war, welche übergeordneten klimatischen Vorgänge trugen dazu bei? Es ist davon auszugehen, dass neben den Temperaturen auch andere Faktoren, wie vor allem die Sonnenscheindauer eine wichtige Rolle für die Lebensbedingungen spielten: Die Sonne scheint tatsächlich ´der´ Faktor der MWP gewesen zu sein, CO2 hingegen ist jener der Neuzeit … .

Neueste Analysen und der von heute bis ins Jahr 900 n. Chr. zurück verfolgbare AMO-Index (Atlantic Multidecadal Oscillation) deuten darauf hin, dass zyklische SST-Energieeinflüsse (Sea Surface Temperature) vom Atlantik die Wolkenbedeckung und somit die Sonnenscheindauer sowie die Temperaturen in Europa signifikant beeinflusst haben könnten. Diese Wechselwirkungen waren auch für den Südharz und Walkenried von Bedeutung. Können Auswertungen der aktuellen klimatischen Prozesse indirekt Rückschlüsse auf vergangene physische wie gesellschaftliche Veränderungenmit daran gekoppelten Auf- und Abstiegsphasen zwischen 1000 und 1400 n. Chr. zulassen?

Die vorliegende Betrachtung geht diesen Fragen nach und versucht, für die Wechselwirkungen des mittelalterlichen Klimas Folgerungen auch aus grossräumigen Vorgängen potentieller ´Telekonnektionen´ und ozeanischen Zyklen zu ziehen. Das Buch versteht sich u.a. als eine Schrittfolge, die hilft, komplexe Zusammenhänge des mittelalterlichen Klimawandels ein wenig besser ableiten zu können. Es zeigt auf, welche ´natürlichen´ Parameter zum Aufstieg und Fall des Klosters Walkenried beigetragen haben könnten.

Hans-J. Dammschneider (2025):
Klimageschichte der Südharzer Klosterlandschaft – Kloster Walkenried. 
ISBN 9783759779878, 106 Seiten, Hamburg/Norderstedt 2025 .
Erhältlich z.B. bei AMAZON oder allen Buchhandlungen



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