Regenwurm-Ausscheidungen dienen als Thermometer der Vorzeit

Martin Schlumpf berichtete am 21. August 2023 im Nebelspalter: 

Ressourcen: Wie leben im «Superüberschuss» – Schlumpfs Grafik 78
Vor einer Woche habe ich in meiner Kolumne über die Simon-Ehrlich-Wette gezeigt, dass die teuerungsbereinigten Preise der fünf in der Wette gewählten Metalle zwischen 1980 und 1990 deutlich gefallen sind, was bedeutet, dass ihre Verfügbarkeit gestiegen ist (siehe hier). Ist dieses Resultat über die Verfügbarkeit von Ressourcen aber ein Zufallstreffer oder Teil eines langfristigen Trends?

Dazu müssen wir folgende Frage beantworten: Werden die natürlichen Ressourcen unseres Planeten angesichts einer wachsenden Weltbevölkerung immer knapper, oder können wir mit immer mehr Überschüssen rechnen? Wie im letzten Beitrag angekündigt, zeigen Gale Pooley und Marian L. Tupy in ihrem im Juli 2023 erschienenen Buch «Superabundance» (siehe hier), dass wir im langfristigen Vergleich – und im Widerspruch zu unserem Bauchgefühl – in einer Welt der wachsenden Ressourcen leben: So wie das der Ökonom Julian Simon vorausgesagt und damit die besagte Wette gewonnen hat.

Was wichtig ist:

– Das beste Messkriterium für die Ressourcenverfügbarkeit ist die Arbeitszeit, die wir investieren müssen, um eine bestimmte Ressource kaufen zu können.

– Weil dieser individuelle «Zeitpreis» seit Jahrzehnten sowohl für Rohstoffe, als auch für Gebrauchsgegenstände, Nahrungsmittel und Dienstleistungen global sinkt, leben wir im Ressourcenüberschuss.

– Weil gleichzeitig die Bevölkerung noch stärker gewachsen ist als dieser Überschuss, haben wir sogar einen «Superüberschuss» (superabundance).

Wie misst man aber Knappheit oder Überschuss an Ressourcen überhaupt? Mit der Simon-Ehrlich-Wette haben wir gesehen, dass Preise mehr über die Verfügbarkeit von Ressourcen aussagen, als einfaches Zusammenzählen von Reserven. Aber auch Preise sind nicht unproblematisch: Zwischen reichen und armen Ländern sind reale Preisvergleiche über längere Zeiträume kaum möglich. Einen eleganten Ausweg bietet hier der sogenannte «Zeitpreis» (time price): Damit wird angegeben, wie lange jemand arbeiten muss, um eine bestimmte Ressource kaufen zu können.

Weiterlesen im Nebelspalter. Auch verfügbar auf schlumpf-argumente.ch.

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Johannes Gutenberg-Universität Mainz:

Eiszeitliche Temperaturen und Niederschläge anhand von Regenwurm-Ausscheidungen rekonstruiert

Neue Methode zur Ermittlung von Klimadaten zur Vergangenheit an Land erstmals vergleichend angewendet / Eiszeitliche Sommer waren in Mitteleuropa zeitweise wärmer als bisher bekannt

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eines internationalen Forschungsprojekts unter Leitung der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) haben eine neue Methode angewendet, um das Klima der Vergangenheit zu rekonstruieren. Wie sie in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Communications Earth & Environment berichten, haben sie durch die Analyse von Regenwurm-Ausscheidungen Temperaturen und Niederschläge der letzten Eiszeit ermittelt, die vor etwa 25.000 Jahren ihren Höhepunkt hatte. „Die neue Methode wurde an der Université Paris 1 Panthéon-Sorbonne entdeckt und am Max-Planck-Institut für Chemie weiterentwickelt“, berichtet Dr. Peter Fischer vom Geographischen Institut der JGU, der das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte Projekt „TerraClime“, das unter anderem zu dieser Veröffentlichung geführt hat, federführend geleitet hat. „Mit anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, unter anderem von der Université de Lausanne und vom Römisch-Germanischen Zentralmuseum, haben wir die Methode für die Rekonstruktion des Klimas am Schwalbenberg bei Remagen und in Nußloch bei Heidelberg benutzt.“ An den beiden Standorten befinden sich gut erschlossene eiszeitliche Staubablagerungen. Im sogenannten Löss befinden sich Abfolgen aus der Zeit von 45.000 bis 22.000 Jahren vor heute, in denen sich durchgängig die winzigen, nur bis zu etwa 2,5 Millimeter großen Ausscheidungsprodukte von Regenwürmern finden lassen. Diese fachsprachlich „Earthworm Calcite Granules“ (ECGs) genannten Kalkausscheidungen werden täglich von Regenwürmern abgesondert. Mithilfe der Radiokohlenstoffmethode, die auf dem Zerfall des natürlich vorkommenden radioaktiven Kohlenstoffisotops (14C) basiert, lässt sich ihr Alter präzise bestimmen. Zusätzlich lässt sich durch das Bestimmen der Verhältnisse von stabilen Sauerstoffisotopen und stabilen Kohlenstoffisotopen in den ECGs dann ermitteln, wie warm beziehungsweise wie feucht es zum Zeitpunkt ihrer Entstehung war.

Höhere Sommertemperaturen als bisher angenommen

„Die Analyse der anhand der ECGs gewonnenen Daten zeigt, dass es vor 45.000 bis 22.000 Jahren in Mitteleuropa wesentlich trockener war als heute, mit bis zu 70 Prozent weniger Feuchtigkeit“, sagt Dr. Charlotte Prud’homme von der Université de Lausanne, Erstautorin der Studie. „Damit können wir die bisherigen Erkenntnisse über diese Zeit erstmals quantifizieren.“ Neu ist das durch die Untersuchung der Regenwurm-Ausscheidungen gewonnene Ergebnis, dass die Sommertemperaturen damals deutlich höher waren als bisher angenommen. „Zwar waren die Sommer zum Höhepunkt der letzten Eiszeit etwa vier bis elf Grad kälter als heutzutage, jedoch lagen sie nur ein bis vier Grad unterhalb der Werte kurzer milderer Klimaphasen, die in der letzten Eiszeit auftraten“, erklärt Fischer. „Vielleicht war es angesichts dieser Sommertemperaturen auch Menschen möglich, in Mitteleuropa im Kältemaximum ein Auskommen zu finden, in einer Zeit, für die bislang angenommen wird, dass Menschen hier nicht überleben konnten“, ergänzt Dr. Olaf Jöris vom Römisch-Germanischen Zentralmuseum, der ebenfalls an der Studie beteiligt war.

„Bisher ist das eiszeitliche Klima im Wesentlichen durch die Analyse von Kleinstlebewesen in Tiefseeablagerungen rekonstruiert worden“, berichtet Fischer. Für das Festland fehlen bislang entsprechende flächendeckende Klimadaten, was sich zukünftig mit der neuen Methode ändern soll: „Da sich in vielen Löss-Abfolgen ECGs finden lassen, können nun großflächig Temperaturen und Niederschlagsverhältnisse der Vergangenheit an Land bestimmt werden. Ziel ist der Aufbau einer Datenbank, mit deren Hilfe sich die Klimaveränderungen der Vergangenheit auf dem Festland präzise dokumentieren lassen. Durch die Berücksichtigung landbasierter Klimadaten werden Klimamodellierungen zur Vergangenheit auf eine umfassendere Datenlage zurückgreifen können und Ursache-Wirkungsketten auch hinsichtlich zukünftiger Klimaschwankungen besser verstanden werden“, so Fischer.

Das Projekt „TerraClime“ und das dazugehörige Projekt zur Datierung der ECGs ist von der DFG mit rund 400.000 Euro gefördert worden.

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Uni Siegen:

Hochwasserkatastrophe 2021: Siegener Forscher attestieren multiples Systemversagen

Ein Team aus dem Institut für Medienforschung der Universität Siegen hat die Krisenkommunikation während des Hochwassers 2021 analysiert, bei dem mehr als 180 Menschen gestorben sind.

„Beim Hochwasser im Juli 2021 gab es ein multiples Systemversagen des Warn- und Katastrophenschutzsystems in Bund, Ländern und Kommunen.“ So fasst Prof. Dr. Gebhard Rusch von der Universität Siegen den Zwischenstand seiner Studie zusammen. Er und sein Team vom Institut für Medienforschung der Uni Siegen haben die Kommunikation rund um das Hochwasser im Juli 2021 von Behörden, Medien und Bevölkerung analysiert. Ziel ist es, Missstände aufzudecken, Warnung und Evakuierung in den Gebieten zu verbessern sowie Konzepte zu entwickeln, um deutlich robustere Informations- und Kommunikationsinfrastrukturen zu schaffen. Das Projekt wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Jetzt liegen erste Ergebnisse vor.

Eine Ursache für das Kommunikationsversagen sieht Rusch darin, dass die Fachexpertise und die Medienverfügbarkeit zu lose gekoppelt sind. Die Fachbehörden hätten keinen Zugang zu eigenen Informations- und Warnkanäle mit ausreichend hoher Reichweite. Um Warnmeldungen zu übermitteln, benötigten FachexpertInnen deshalb die öffentlich-rechtlichen und privaten Medienveranstalter. Dort würden Warnungen oft nur verlesen, nicht aber fachlich mit Blick auf die konkreten Gefährdungen interpretiert und veranschaulicht. Deshalb fordert der Medienwissenschaftler anschauliche Beschreibungen und Illustrationen der Gefahren, die mit extremen Wetterlagen möglicherweise drohen. „Die Warnungen müssen besser veranschaulicht werden.“ Hinzu käme das Problem, dass die Warnstufen überkomplex und die Mobilisierungswirkungen zu mangelhaft seien. „Wenn Bürger nur gewarnt werden, reicht das nicht aus. Es muss unmissverständlich gefordert werden, dass die Menschen umgehend handeln müssen oder dass sonst Gefahr für Leib und Leben besteht“, fordert Rusch.

„Das neue Cell Broadcast System kann nicht die finale Lösung sein“

Auch die Warn-Apps NINA, Katwarn oder Biwapp können laut Rusch solche Lücken nicht wirksam schließen. Sie seien in der Bevölkerung noch immer in viel zu geringem Umfang und teils nur regional verbreitet, die nutzerspezifischen Konfigurationen seien außerdem oft fehlerhaft oder unvollständig. Im November 2022 wurde das Cell Broadcast System ausgerollt. Darüber sollen künftig BürgerInnen per SMS über Notfälle informiert werden. Beim bundesweiten Warntag am 8. Dezember wird das System zum ersten Mal in der Praxis getestet. Rusch sieht in Cell Broadcast eine deutliche Verbesserung zur bisherigen Situation. „Es ist löblich, dass das umgesetzt wurde. Aber auch das neue Cell Broadcast System kann nicht die finale Lösung sein“, sagt Rusch. Zwar könne die Einführung von Cell Broadcast die Mängel der Warn-Apps kompensieren, das System bleibe aber auf die Mobilfunk-Infrastruktur und intensive Stromversorgung mit den bekannten Ausfallrisiken angewiesen. Der weit verbreitete Mangel an Notstrom-Technik in Mobilfunksystemen, vor allem aber in Unternehmen und Privathaushalten, schränke die Resilienz der Kommunikationssysteme und Versorgungsinfrastrukturen in Krisenlagen ganz erheblich ein.

Von diesem Problem sei auch das Mobile Warnsystem des Bundes (MOWAS) betroffen. „Das Hochwasser 2021 hat gezeigt, dass Zugänge zum MOWAS-Portal wegen der Stromausfälle vor Ort in den Leitstellen nicht mehr möglich waren“, berichtet Rusch. Auch die Bedienung des MOWAS-Systems sei für das Leitstellenpersonal kompliziert. Widersprüchliche Inhalte in einer Warnung oder in den Warnungen der Leitstellen in einer Region müssten dann von den Multiplikatoren (z.B. den Redaktionen der Medienanstalten) aufwendig nachrecherchiert werden und führten zu einer gewissen Warnskepsis, die kontraproduktive Folgen haben könne.

Bessere Qualifizierung für EntscheidungsträgerInnen und für die Bevölkerung gefordert

Nicht zuletzt müsse aber auch die Frage nach der Qualifizierung der Verantwortungs- und EntscheidungsträgerInnen im Bevölkerungsschutz gestellt werden. „Scheinbar haben diese Personen teils Sorge, durch Warnungen oder Alarmierungen Panik auszulösen“, sagt Rusch. „Außerdem befürchten manche, für Schäden durch im Nachhinein als unnötig erachtete Warnungen haftbar gemacht zu werden. Dadurch zögern viele Verantwortliche zu lange oder weichen einer Entscheidung aus.“ Nicht nur die Qualifizierung der EntscheidungsträgerInnen, sondern auch eine Qualifizierung der Bevölkerung sei wichtig. „Es ist sinnvoll, wenn die Bevölkerung ein Verständnis für Naturgefahren, für die Verletzlichkeit und Risiken kritischer Infrastruktur hat. Außerdem ist es definitiv sinnvoll, die Selbsthilfefähigkeit und Resilienz der Bevölkerung zu stärken.“

Für das Verbundprojekt „Governance und Kommunikation im Krisenfall des Hochwasserereignisses im Juli 2021 – HoWas2021“ stellt das BMBF rund 1,5 Millionen Euro zur Verfügung. Das Projekt hat eine Laufzeit von 18 Monaten. Ziel ist es, Risikovorhersagen, Krisenkommunikation und Katastrophenmanagement bei der Bewältigung von Extremwetterlagen zu verbessern. In dem Verbund unter Leitung des Instituts für Wasserbau und Wasserwirtschaft an der RWTH Aachen arbeiten ForscherInnen sowie Anwender aus unterschiedlichsten Fachdisziplinen und Organisationen zusammen. Die Universität Siegen ist am Projekt beteiligt.

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CMCC Foundation – Euro-Mediterranean Center on Climate Change:

Interdisciplinary study provides a detailed map of urban heat islands

Urban areas are where the majority of the world’s population lives, and they are also usually most affected by climate change. Heat waves and extreme temperatures are more intense in heavily-built areas, intensifying existing weaknesses and inequalities among the urban population.

An interdisciplinary study published in Urban Climate and led by the CMCC Foundation focuses on the Urban Heat Island phenomenon, providing a reproducible and flexible methodology to explore the risk assessment on the heat-health nexus within the city of Turin, Italy.

The Urban Heat Island (UHI) is defined as a temperature difference between urban and rural areas, caused by the excess of heat emitted and by the solar gain trapped by the urbanized environment.

„The UHI phenomenon is typical of urban areas and it is stronger during heat waves events,“ said Marta Ellena, of the CMCC’s REgional Models and geo-Hydrological Impacts (REMHI) division, and first author of the paper. „This happens because cities are mostly covered by impermeable surfaces, and this makes temperatures higher, worsening the already existing UHI effect.“

The main objective of the study was to produce climate risk assessment evaluations at the local scale taking under consideration the main drivers of inequality, which are crucial for suggesting adaptation strategies for more climate-resilient and sustainable cities.

An important feature of the study was the identification of the UHI risk per census tract, which is the minimum geographical entity of data collection currently available from Italian municipalities. „This is one of the most innovative aspects of this work,“ said Ellena, „because previous studies considered city’s quarters or districts. For example, Turin has 23 quarters and 8 districts: in this study we considered its census tracts, which are 3843, so it is an enormous set of information, especially compared to previous studies.“

The research was carried out adopting an up-to-date theoretical framework proposed by the Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), and applying it on the urban area of Turin, the fourth most populated Italian urban area.

The UHI-related risk is described in this framework as a combination and interaction of three main factors: hazard, exposure, and vulnerability.

The climate hazard is represented by the UHIs and their distribution within the city boundaries; exposure refers to the presence of vulnerable citizens in urban areas who are likely to be adversely affected by the occurrence of UHI phenomena: in this case, the population aged 65 or over.

Finally, vulnerability is defined as made up of two factors, sensitivity and adaptive capacity. Sensitivity is composed of the elements which contribute to the susceptibility of the exposed population considered, such as demographic and socioeconomic factors, health conditions and the environmental context of the urbanized area. Adaptive capacity, on the other hand, takes into consideration the availability of facilities and services which contribute to more favorable conditions for individuals under extreme temperatures.

„The combination of all these different factors allows us to express the complexity of the concept of risk associated with Urban Heat Islands,“ said Guglielmo Ricciardi, of CMCC and Politecnico di Torino, another author of the study. „It’s not only greener or more urbanized areas that influence the risk on citizens. We should also consider the characteristics of buildings, the proximity to hospitals, or to public spaces with air conditioning, among others.“

The results were collected in tables and visualized through georeferenced maps for individual and aggregated indicators, and are open access and available under a creative commons license.

The results of the study allowed for the identification of UHIs in the city of Turin, and the associated risk for the population, as well as the priority areas for intervention on a highly detailed scale. While the lowest hazard was measured in green areas corresponding with the main urban parks, thus demonstrating the significant contribution of vegetation to heat reduction, higher-risk zones are mostly located in the densely populated areas of the suburbs.

„A strength of this work is that such a high-resolution analysis of the connection between the UHI hazard, the population exposure, and the related vulnerabilities at the urban level is still uncommon,“ said Ellena, „and we hope it will be used by policymakers for informed decisions and adaptation measures, or by other researchers as a guidance to reproduce similar analyses in other Italian (and not Italian) urban contexts.“

Paper: Marta Ellena et al, Micro-scale UHI risk assessment on the heat-health nexus within cities by looking at socio-economic factors and built environment characteristics: The Turin case study (Italy), Urban Climate (2023). DOI: 10.1016/j.uclim.2023.101514

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