Das Klima kippt, Punkt?

Auf seinem Blog geht Axel Bojanowski unter diesem Titel den berühmten Kipp-Punkten nach.

“Forschern, die den Stand der Wissenschaft verzerrt katastrophistisch wiedergeben, wird öffentlich selten widersprochen. Klima geriet zum identitäts- und machtstiftenden Politikum, das bei Abweichung soziale und berufliche Risiken birgt. Wichtiges Mittel im Agenda-Setting sind Kipppunkte, theoretische Schwellen im Klimasystem, die unwiderrufliche Änderungen beschreiben sollen. Kipppunkte sind nicht nur eine mögliche Bedrohung, sie dienen als Argument für die Priorisierung des Klimathemas und seiner Profiteure aus Politik, Medien, Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Kipppunkte sind ein wichtiges Thema, das mehr Forschung verdient, ihre wissenschaftliche Grundierung aber ist höchst fragil. Der „Spiegel“, der Klimaschutz zur redaktionellen Agenda erklärt hat, lässt den Klimaforscher Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) alle paar Wochen seine Sicht auf den Klimawandel in einem Text beschreiben. Die Kolumne böte eine Fundgrube für Kommunikationsforscher, die politische Schlagseite in wissenschaftlicher Literatur untersuchen.”

Danach folgen etliche Beispiele, wo sich anerkannte Klimaforscher zum Thema Kipp-Punkte geäußert haben, allerdings klingt es dort weit weniger dramatisch als beim angesprochenen Stefan Rahmstorf. Selbst in den IPCC-Berichten findet sich zu vielen der Punkte von Rahmstorf keine Bestätigung oder werden mit Low Confidence klassifiziert. Das bedeutet laut Bojanowski aber nicht, dass es eine These gibt und nur Belege fehlten, es bedeutet, dass die Indizienlage schlecht ist und/oder unter Experten umstritten.

Heraus kommt ein spannendes Stück, sehr sachlich und doch stark im Kontrast zu den Äußerungen Rahmstorf bei Twitter über Bojanowski. Dort lässt Rahmstorf nämlich keine Gelegenheit aus, den Welt-Journalisten ins Lager der Klimawandel-Leugner zu verfrachten. So geschehen kürzlich auf Twitter. Es nützt nichts, dass Bojanowski die 8 Jahre Phase mit wenig Erwärmung als irrelevant im langen Trend sieht, Rahmstorf wirft in den gleichen Topf wie Steve Miloy, einem Lobbyisten. Natürlich schreibt Rahmstorf nicht direkt unter Bojanowskis Tweet. Dazu bräuchte man ja Mut.

(Abbildung: Screenshot Twitter)

Wer sich für Tipping Points interessiert, dem sei das gleichnamige Buch von Malcom Gladwell aus dem Jahr 2000 empfohlen. Es geht dort nicht ums Klima, sondern um Trends und wie kleine Dinge Großes bewirken können und, dass fast jeder Mensch zu jedem anderen Menschen auf dieser Welt über relativ wenige Stationen Kontakt hat. In den USA reichten 5 Stationen, um einen Brief von Küste zu Küste zu transportieren, nur über Menschen, die sich kennen. Das Buch stammt aus einer Zeit, als der Betriff Tipping Point noch nicht negativ besetzt war. Heute zucken die Menschen zusammen, wenn jemand das Wort benutzt.

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SWR3-Wissen hat einen Podcast zum Thema LNG-Terminal in Wilhelmshaven. Die Zahl der kritischen Stimmen in der Sendung ist in der Überzahl. So kommen die Deutsche Umwelthilfe, das BUND, lokale Fischer oder Bürgerinitiativen zu Wort.

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Auf einer Fläche so groß wie das Saarland soll ein riesiger Windpark in der Nordsee entstehen. Das ZDF berichtet über die Pläne.

“Am Freitag veröffentlichte das zuständige Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) den Flächenentwicklungsplan 2023. Dieser Plan soll Grundlage sein, um die derzeit installierte Offshore-Leistung von 8,1 Gigawatt bis 2030 auf 30 Gigawatt zu steigern. Beinahe eine Vervierfachung. Auch zur Wasserstoff-Gewinnung sind neue Gebiete ausgewiesen.” […] “Schwerpunkt der geplanten Vorhaben ist die Nordsee. Dort wird nun eine zusätzliche Fläche von mehr als 3.500 Quadratkilometern für Offshore-Windkraft ausgewiesen. In der Ostsee kommen rund 330 Quadratkilometer hinzu. Zusammen ist das etwa die 1,5-fache Fläche des Saarlands. Die neuen Gebiete liegen nicht in unmittelbarer Küstennähe. Lange Stromtrassen mit Unterseekabeln werden die Anlagen an das Stromnetz anschließen. Der deutsche Offshore-Ausbau war zuletzt kaum vorangekommen, zwischen Mitte 2020 und Mitte 2022 ging fast keine neue Anlage ans Netz.”

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Die Hamburger Industrie- und Handelskammer warnt vor einem schleichenden Abwandern der deutschen Industrie. Das berichtet die Welt.

“Bei der Handelskammer Hamburg wächst die Sorge, dass hohe Energiepreise und ein internationaler Wettbewerb um Subventionen die Industrie dauerhaft schwächen könnten, auch in Norddeutschland. Die Kammer fordert deshalb eine umfassende deutsche Industriepolitik für die kommenden Jahre. Teil dessen müsse auch ein langfristig besseres Angebot an sicherer und günstiger Energie für die Industrie sein, sagte Handelskammer-Hauptgeschäftsführer Malte Heyne am Freitag. „Industrie folgt der Energie. Das Angebot an sicherer und klimagerecht erzeugter Energie muss wachsen.“ Dies hänge vor allem auch von staatlichen Regulierungen und Rahmenbedingungen ab, sagte Heyne mit Blick auf das große Potenzial der erneuerbaren Energien speziell im Norden. Quellen wie die Windenergie müssten der Industrie schneller und besser zugänglich gemacht werden, verbunden auch mit der Möglichkeit, diese Energie zu speichern.”

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Die Kosten der Energiewende. Tech-For-Future hat sich die Zahlen angesehen und zusammengestellt.

“Eine Kugel Eis soll die Energiewende jeden Haushalt pro Monat kosten behauptete Jürgen Trittin. Statt 12 Kugeln Eis bezahlen Haushalte nun 360 € pro Jahr allein für die EEG-Differenzkosten. Das sind die reinen Subventionen, die Betreiber von EEG-Anlagen zusätzlich zum Markterlös erhalten. Dazu kommen weitere Förderungen und Kosten, die Deutschlands Strompreise mit zu den höchsten weltweit machen. Und das, obwohl die Energiewende immer noch ganz am Anfang ist. Die Kosten steigen in Zukunft. Was kostete die Energiewende bisher und was wird sie in Zukunft kosten?”

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Wenn Windräder stillstehen müssen. Die Tagesschau mit einem Artikel über die Probleme der Stromnetze.

“Lackmanns Unternehmen WestfalenWind erzeugt Strom, und wie alle Stromerzeuger verkauft er diesen an den Strombörsen. Zusätzlich aber verkauft er seinen Windstrom auch deutlich günstiger als zum handelsüblichen Durchschnittspreis an die Nachbarn des Windparks. In der Energiebranche eine echte Seltenheit, aber effektiv. Die günstigen Strompreise würden auch Bürger und Industrie aufgeschlossener für die Energiewende machen, so der Geschäftsführer. Der Strom aus dem Bürgerwindpark darf aber nur als normaler Haushaltsstrom abgerechnet werden. Von Sondertarifen – zum Beispiel für Wärmestrom – profitieren die Windparkbetreiber nicht. “Natürlich hätten wir dann auch gerne Strom geliefert aus diesen Windkraftanlagen und hätten dann damit Erdgas und Erdöl verdrängen können”, beteuert Unternehmer Lackmann. Dann hätte man auch das Problem der Netzengpässe gelöst. Denn bei Überkapazitäten in den Stromnetzen herrscht ebenfalls Stillstand auf den Windfarmen. Wenn es so viel Energie gibt, dass gar nicht alles eingespeist werden kann, stehen in der Regel die Windräder als erstes still. Denn diese lassen sich flexibler abstellen und wieder in Betrieb nehmen als beispielsweise ein Braunkohlekraftwerk. Viel Energie, die so verloren geht: Nach Zahlen der Bundesnetzagentur konnten alleine in 2021 gut 5,8 Milliarden Kilowattstunden an Strom aus Windkraft nicht eingespeist werden. Das ist etwa ein Prozent des deutschen Gesamtstromverbrauchs.”

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Blain et al. 2022:

A warm and humid paleoecological context for the Neanderthal mountain settlement at the Navalmaíllo rockshelter (Iberian Central System, Madrid)

Neanderthals have been claimed to have had a selective adaptation to rugged, wooded landscapes that would have partially compensate their high basal metabolic rate and locomotor energetic costs through reducing search time and increasing diet breadth. The archaeological site of the Navalmaíllo rockshelter (Pinilla del Valle, Madrid), located in a mountain environment in central Iberian Peninsula, has been interpreted as a repeated short-term occupation hunting camp by Neanderthal groups, mainly focused on primary access to large bovids and cervids. Navalmaíllo rockshelter has also furnished fish, toads, frogs, tortoises, lizards and snakes remains. This association of amphibians and reptiles suggests a much warmer climate (+2.8 °C) for layer F than at present, with similar temperatures during the summer but higher temperatures throughout the remaining months. Rainfall was slightly more abundant (+180.6 mm) than today, with a more contrasted regime during the year, with rainier winters and drier summers. A two-month period of aridity is observed during summer, representing a similar duration to present-day climatic conditions. Reconstructed landscapes are mainly constituted by open areas with dry grassland and rocky or stony areas, evolving laterally to humid meadows, probably close to the aquatic and peri-aquatic areas, such as rivers or ponds with riverside vegetation. Woodland environments are also well represented around the site, with medium scrublands to forest formations. Fish complete this reconstruction by documenting the presence of a pre-mountain well-developed river system characterized by relatively cold, permanent, oxygen-rich, and running waters. Such reconstruction is in disagreement with previous pollen interpretation for Layer F that suggested a very open and cold environment. Our new interpretation suggests that the Neanderthal occupation of the Navalmaíllo rockshelter occurred during a somewhat temperate and humid period, probably within the later part of the Marine Isotope Stage 5, effectively favouring the presence of a high biodiversity around the site.

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Xi’an Jiaotong University:

India’s history of monsoon droughts revealed by stalagmites and historical documentary sources

Western India was struck by the “Deccan famine” between 1630 and 1632 as crops failed after three consecutive years of Indian monsoon failures. While traveling through the region, Peter Mundy, an English merchant with the East India Company, vividly described the traumatic scenes of starvation, mass mortality, and even cannibalism in his travelog. In fact, such scenes of catastrophic drought-induced famines are widely noted in historical documentary sources suggesting that the Indian subcontinent has frequently experienced multi-year to decade-long severe droughts unlike any observed in the last 150 years when the reliable measurements of monsoon rainfall became available. Nonetheless, the historical accounts are scattered, subjective, and their veracity cannot be always confirmed.

Writing in the Proceedings of the National Academy of Science, an international team of researchers has developed a new record of the past Indian monsoon drought history that spans much of the past millennium. “Our monsoon drought history is in striking synchrony with the historical evidence of droughts and provides important climatic context against which the key geopolitical and societal changes can now be assessed,” noted Dr. Gayatri Kathayat, the lead author of the study and an associate professor at the Xi’an Jiaotong University (XJTU) in China.

The team built their monsoon record by analyzing the oxygen isotopes in stalagmites from a remote cave in northeast India. All the analyses were conducted in the Institute of Global Climate Change at XJTU led by Professor Hai Cheng, a leading expert in the radiometric dating of cave formations and a senior author of this study. Hai Cheng said, “This is the first ultra-high-resolution record of its kind from India that allows a direct comparison with the available historical documentary sources of droughts due to its unprecedented dating accuracy.”

The new study suggests plausible links between the multi-year droughts and significant societal and geopolitical changes in India during the past millennium. The paleoclimate data reveal that the most severe weakening of the Indian monsoon during the past millennium occurred between the 1780s and 1810s, which is strongly corroborated by the available historical accounts from this period that describe at least 11 famines, six of which, including the dreaded Chalisa and Doji Bara or Skull Famines, occurred between ~1782 and 1792 CE with a combined estimated death toll in the excess of 11 million.

Another multi-decadal period of frequent droughts from the 1590s to 1630s detected from the stalagmite record coincided with the collapse of the Guge kingdom in western Tibet and the abandonment of Fatehpur Sikri in north India—one of the largest cities of its time that briefly served as the capital of the Mughal Empire (c. 1571 to 1585 CE) before it was completely abandoned by 1610 possibly in response to crippling droughts that affected the city’s water supply infrastructure.

“Our study shows that protracted droughts, that is those lasting at least three years or longer, tend to occur in clusters within decades-long intervals of weaker monsoon rainfall that are separated by centuries-long periods of relatively stable climatic conditions—much like the conditions during the last 150 years where such protracted droughts are essentially absent,” said Professor Ashish Sinha of California State University Dominguez Hills. The research team cautioned that “the lack of multi-year consecutive monsoon failures during the instrumental era may provide a false sense of comfort that protracted droughts are not intrinsic aspects of Indian monsoon variability.”

“Unfortunately, this seemingly reassuring, but myopic view currently informs the region’s water resource infrastructure policies. If such protracted droughts were to reoccur in the future, they can easily overwhelm the adaptive capabilities of modern societies unless a longer-term and holistic understanding of monsoon variability is incorporated into the region’s drought management and mitigation planning,” said Dr. Kathayat.

Paper: Protracted Indian monsoon droughts of the past millennium and their societal impacts, Proceedings of the National Academy of Sciences (2022). DOI: 10.1073/pnas.2207487119

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