Praktische Lebenshilfe vom Spiegel

Der Spiegel-Kolumnist Christian Stöcker nutzt die Gunst der Stunde und schwört noch einmal auf Weihnachten ein. Genauer gesagt auf mögliche Diskussionen in der Familie rund ums Klima. Immer dann, wenn das Wort Mythos fällt, sollte man als Leser extrem hellhörig werden. Zu oft hat man es schon gehört, man denke nur zurück an den Mythos, dass wir keine Speicher noch und nöcher hätten. Konsequenterweise arbeitet auch Stöcker mit dem Wort Mythos. Es ist ja auch so herrlich einfach, eine Gegenmeinung ist ein Mythos und schon ist der Fall damit erledigt. Fast möchte man sagen, denn Stöcker versucht hier noch Argumente zu liefern. Das Hinschauen lohnt sich auch bei Stöcker und seinem Leitfaden. Er erzählt seinen Lesern nämlich nur Teile und spätestens, wenn ein Mitglied der Familie auch andere Teile der Fakten kennt, könnten interessante Diskussionen entbrennen, bei denen Stöckers Leitfaden dann leider auch nicht mehr wirklich hilft. Zwei Beispiele:

1. »Deutschland trägt doch nur zwei Prozent aller Emissionen bei, wir können ja sowieso nichts ändern.«

Das ist gleich doppelt falsch. Zum einen ignoriert die Zahl zwei Prozent die Emissionen, die wir durch unseren Konsum von anderswo hergestellten Waren verursachen. Der Pro-Kopf-Ausstoß an konsumbasierten Emissionen in Deutschland liegt bei 8,8 Tonnen CO2 pro Jahr. Dazu kommt: Bei den historisch kumulierten Emissionen durch fossile Brennstoffe liegt Deutschland weltweit auf dem vierten Platz . Wir verdanken unserem Wohlstand dem vielen CO2, das hier in den vergangenen Jahrzehnten emittiert wurde. Wir gehören also zu den Hauptschuldigen, wir emittieren pro Kopf viel mehr als weltweit pro Kopf emittiert werden darf.

Zunächst hat uns China beim pro Kopf Verbrauch mittlerweile überholt, jedenfalls nach den neusten Zahlen. Das weiß Stöcker auch, daher greift er hier in die Trickkiste und zaubert die kumulierten Werten hervor, auch wenn er in der Kolumne eine Grafik mit den totalen Werten zeigt, was ja schon mal löblich ist. Dumm nur, dass China gut 15-mal so viele Einwohner hat als Deutschland und daher in Summe jedes Jahr rechnerisch 15 Jahre gegenüber Deutschland aufholt, wenn man konsequent nach den aufgelaufenen Werten geht. Bis 2030 hat es Deutschland längst überflügelt bei dieser kumulierten Rechnung, wenn man die Zeit seit Beginn der Industrialisierung betrachtet. China wird seine Emissionen sogar noch steigern und das Pariser Abkommen erlaubt das sogar explizit. Das verschweigt uns der Kolumnist, es würde seine Argumentationslinie wohl zu sehr erschüttern.

Sein Argument von CO2 durch woanders hergestellte Waren lässt sich locker ins Gegenteil umdrehen. Deutschland als Exportnation müsste man am CO2-Austoß auf das Bruttoinlandsprodukt messen und da steht Deutschland sehr gut da. In Deutschland hergestellte Waren oder auch Maschinen verrichten ihren Dienst auf der ganzen Welt.

(Abbildung: Screenshot Twitter)

Fritz Vahrenholt hat das in seinem Vortrag kürzlich anschaulich erklärt. Wenn ein PKW-Motorenhersteller seine Produktion von Deutschland nach China verlagert, steigert sich der CO2-Abdruck bei der Produktion um den Faktor 4. Genau das passiert gerade. Gleiches gilt für die Grundstoff-Industrie, sie ist energieintensiv. Länder ohne diese Produktion haben per se einen CO2-Vorteil, dennoch nutzen viele von ihnen die Grundstoffe oder nachgelagerte Produkte aus Deutschland. All das wird Stöcker ihnen nicht erzählen. Aus Gründen. Es geht aber noch weiter:

“2. »Das wahre Problem sind die Überbevölkerung und das Bevölkerungswachstum in Afrika und Asien.«

81 Prozent allen CO2, das derzeit in die Atmosphäre emittiert wird, stammt aus den G20-Staaten, also den reichsten Ländern der Erde . In diesen G20-Staaten leben derzeit etwa 4,9 Milliarden Menschen . Das sind etwa 62 Prozent der Weltbevölkerung. Das heißt: Die restlichen 38 Prozent der Weltbevölkerung emittieren zusammen nur 19 Prozent allen Kohlendioxids. Viele G20-Staaten wachsen gar nicht mehr – ihre Bevölkerungen überaltern und schrumpfen. Subsahara-Afrika, dessen Bevölkerungswachstum bei Fans der Überbevölkerungsthese ein besonders beliebtes Thema ist, trägt insgesamt weniger als ein Prozent aller Kohlendioxid-Emissionen bei.”

Auch hier wieder nur ein Teilaspekt. Man nennt es auch Cherrypicking. Natürlich muss die Weltbevölkerung ernährt werden und dadurch ändert sich die Landnutzung mit Folgen wie z. B. den Verlust von Kohlenstoffsenken. Abgeholzte Wälder oder trockengelegte Moore sind Beispiele dafür. Lieber arbeitet Stöcker aber mit dem schlechten Gewissen und vergisst mal eben, in welchen geografischen Breiten einige G20-Länder liegen. Anders gesprochen: Einige der G20-Länder sind auf das Heizen in Teilen des Jahres angewiesen. Ob Stöcker das diesen Ländern ernsthaft vorwirft?

Selbst die IPCC-Ratschläge schlägt Stöcker aus wie im Falle Kohlenstoff-Abscheidung (“zu teuer und schon eingepreist in den Szenarien”) oder lässt sie besser unter den Tisch fallen wie die Kernenergie. Wir sehen also, es lohnt sich die Spiegel “Argumente” kritisch zu lesen, denn mit schlechtem Gewissen allein, wird es keine gute Weihnachtsdiskussion. Wer auch nur einigermaßen informiert ist und fähig ist zu denken, der wird hier in der Diskussion die Stöcker Schwachpunkte sehr schnell erkennen und benennen.

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Wir bleiben beim Spiegel. Ein anderer Kolumnist, Sascha Lobo, hat sich mit der “Letzten Generation” beschäftigt und er ist offenbar etwas zwiegespalten, lässt aber kein gutes Haar an ihnen. Das Ansinnen gefällt ihm wohl schon, die Art und Weise aber nicht. Er kritisiert vor allem die Art der Kommunikation der Aktivisten:

“Vernichtung, Krieg, Zerstörung, Suizid – die Botschaft ist eindeutig: Hier findet die Mobilisierung junger und sehr junger Menschen über die offensiv geschürte Angst vor dem Weltuntergang statt. Die Begründung der Aktivist*innen der »Letzten Generation« lautet im Kern: Aber es ist doch die Wahrheit, die Welt droht doch wirklich unterzugehen wegen der Klimakatastrophe! Diese Gefahr besteht ohne Zweifel. Trotzdem ist es gefährlich, auf diese Weise zu kommunizieren. Es geht hier nicht um die Wahrheit, sondern um die Art wie kommuniziert wird, und um die vermeintliche Alternativlosigkeit der eigenen Interpretation. Denn so funktioniert Radikalisierung: durch Zeichnung eines derart schlimmen Szenarios, zu dessen Abwehr jedes Mittel okay erscheint. Eine katastrophale Option als geringeres Übel darzustellen, weil die Alternative noch katastrophaler sei: Das ist Bestandteil beinahe jedes Extremismus. Und dieser entwickelt in den Köpfen stets eine eigene Eskalationsdynamik, was bedeutet: Extremismus lässt sich ab einem bestimmten Punkt nicht mehr einfangen, auch nicht von denjenigen, die ihn geschürt haben.”

Zum Ende seiner Kolumne zieht er daher auch ein eher bitteres Fazit. Der “Letzten Generation” folgen gemessen an anderen Klima-Bewegungen nur sehr wenige Menschen. Lobo sieht darin etwas Gutes, denn nur ein kleiner Teil der Klimabewegung radikalisiert sich offenbar oder glaubt tatsächlich, dass die Erde in 2-3 Jahren untergeht.

Natürlich gibt es Verbindungen zwischen Fridays for Future und »Letzter Generation« und wechselseitige Sympathien, außerdem wird die »Letzte Generation« regelmäßig von führenden Kräften der Klimajugend in Schutz genommen. Doch der Unterschied wird dadurch umso sichtbarer: Die einen stellen den Weltuntergang ins Zentrum ihrer Kommunikation, die anderen das Gegenteil, nämlich die Weltrettung. Die einen argumentieren fast ausschließlich emotional, die anderen wissenschaftsbasiert. Die einen setzen auf Eskalation und Bekehrung, die anderen, etwa Luisa Neubauer, auf Erklärung und Überzeugung. Die Betreffenden in der »Letzten Generation« werden es vermutlich nicht gern hören. Doch ihr größtes Verdienst ist, gezeigt zu haben, dass der wesentliche Teil der Klimajugend eben nicht radikal ist, sondern realistisch. In ihrer Kommunikation ebenso wie in ihren Forderungen.”

Es ist etwas schade, dass Lobo nicht noch die beiden Forderungen in den Mittelpunkt stellt, die die “Letzte Generation” aktuell anführt, nämlich Tempo 100 und das 9 Euro-Ticket. Spätestens da wäre nämlich klar geworden, dass die beiden Forderungen und deren möglicher Einfluss auf CO2-Emissionen und letztlich das Klima in keinem Verhältnis zu den Aktionen stehen. Schon gar nicht, wird es den Weltuntergang in 2-3 Jahren aufhalten. Es spricht für Lobo, dass er unter seiner Kolumne noch einen Zusatz hat, der auf das Verhältnis von Fridays for Future zum Antisemitismus eingeht. Zumindest die schwedische Zentrale der Bewegung scheint da echte Probleme zu haben.

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Eine Nominierung für den Auweiha-Award 2023 hat sich Stefan Krauter verdient. Er nennt sich selbst Solarpapst, was für sich genommen ja schon mal erstaunlich ist. Aber vielleicht hält er sich wie der echte Papst ja für unfehlbar. Möglich wäre es ja. Krauter steht aber ähnlich wie der Papst einer Kirche vor, in dem Fall der Kirche der Erneuerbaren Energien und daher ruft er gern von der Kanzel herunter. So wie kürzlich auf Twitter. Kürzlich hatten wir einen Artikel über den Unternehmer Nicolas Stihl, der die deutsche Wirtschaft am Kipppunkt sieht. Krauters Kommentar auf Twitter legt seine schräge Denkweise auf bemerkenswerte Art offen. Zur Erinnerung: Der Mann ist Professor an der Uni Paderborn.

(Abbildung: Screenshot Twitter)

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