Von Frank Bosse
Küstenerosion und Meeresspiegelanstieg bei Cape Cod, Nordamerika
Einer ganz großen Sache ist der Spiegel zu Weihnachten auf der Spur. Er berichtet unter der Überschrift:
„Erosion durch Klimawandel So wollen Forscher mit Stromstößen die Küsten der Welt retten“
Erzählt wird die Geschichte (hinter der Bezahlschranke) eines Handwerkers, der zu einem Schnäppchenpreis ein tolles Haus neu erworben hat, allerdings in unmittelbarer Nähe zur Atlantikküste bei Cape Cod. Nun hat er berechtigte Sorge, dass es durch Küstenerosion nicht mehr lange zu leben hat. Das Phänomen ist nahezu weltweit bekannt, auch hierzulande. Im Artikel kommt auch ein deutscher Professor zu Worte, der aufklärt, warum man hier jedoch kaum etwas von „abstürzenden Häusern“ liest:
„Immobilien indes seien an hiesigen Küsten wegen strenger Bauvorschriften nur selten bedroht, sagt Christian Winter, Professor für Küstengeologie an der Kieler Christian-Albrechts-Universität.
»Hier gibt es Pufferzonen zum Strand, in denen man gar nicht erst bauen darf.« Auch Immobilien auf Dünen oder Klippen seien in Deutschland meist tabu, anders in den USA.“
Dann allerdings gibt es tatsächlich etwas Neues im „Spiegel“. Berichtet wird über ein neues Verfahren, mit dem man Sandküsten mit Elektrotechnik verfestigen kann. Die Autoren einer Studie bei Communication Earth and Environment (Der Link wird im Artikel leider nicht veröffentlicht) erklären die Wirkungsweise ihrer Methode. Und sie verweisen darauf, dass es Küstenerosion schon immer gibt, völlig unabhängig vom Klimawandel:
„Erosion ist McCormacks Fachgebiet. Die Abtragung durch Wind und Wasser habe es schon immer gegeben, sagt McCormack, sie sei Bestandteil der natürlichen Kreisläufe.
Aber »der Klimawandel beschleunigt die Erosion«“
Er erklärt dann warum: Der Meerespegel steigt, dadurch kämen die zerstörerischen Wellen höher und könnten weiter ins Land vorankommen. Das ist eingängig, nur wie steht es um die Quantitäten bei Cape Cod, das Beispiel im Artikel?
Die Wellenhöhe da kann schon mal 10m betragen, die Wucht dieser Wellen ist es, die an allen Küsten zu Erosion führen.
Im Artikel erfährt man über den Meeresanstieg leider nichts Genaues, außer einer Touristenmetapher:
„Der Meeresspiegel ist in den vergangenen 23 Jahren um die Höhe dieses Glases gestiegen« ist auf das Glas gedruckt“
Textaufgabe: Wie hoch ist das Glas? Leider löst auch hier der Artikel nicht auf, es ist jedoch keine große Herausforderung. Auf Websites der NOAA findet man eine Station an der Südküste von Cape Cod und diese Abbildung der Entwicklung der Meereshöhe da:
Quelle: NOAA
Seit 1933 sind da Daten erhoben, zwar mit Lücken aber recht homogen gewonnen. Das Glas ist also ca. 23 Jahre *3,1 mm/Jahr Anstieg = ca. 7 cm hoch. Nicht sehr beeindruckend bei Wellen von bis zu 10m Höhe, nämlich 0,7%!
Die Abbildung zeigt auch, dass dieser Anstieg schon ab 1933 anhält, der Klimawandel setzte jedoch erst ab den 1970er Jahren ein. Das kann man dank der Daten der NOAA auch gut nachrechnen, die Trends da seit 1933:
Die statistischen Unsicherheiten der Trends sind als vertikale Balken an einigen Jahren abgetragen und man erkennt: Der Trend bei Cape Cod 1933 bis 1960 unterschiedet sich nicht signifikant von dem von 1933 bis 2020. Es sind schon immer wohl etwa 3mm/Jahr, der Klimawandel nach 1970 hat daran bisher überhaupt nichts geändert.
Im Artikel wird auch auf „Extremwetter“ verwiesen, durch den Klimawandel „angeheizt“.
Hier kommen wohl vor allem starke Stürme infrage, die da die küstenerodierenden Wellen peitschen. Auch hier gibt es Daten, zumindest bis 2010, über die Maximalgeschwindigkeiten im Gebiet:
Das Bild wurde mit dem „Climate Explorer“ generiert.
Ein signifikanter Trend durch Klimawandel? Auch hier Fehlanzeige! Da hilft auch nicht das Erwähnen von anekdotischen „schweren Stürmen“ um Cape Cod in den letzten Jahren im “Spiegel”-Artikel. Es kommt auf die deutliche Veränderung der Stürme seit den 1970ern im Gegensatz zu davor an.
Der Artikel erzählt in Wahrheit die traurige Geschichte eines Hauskaufes in einer Gegend in unmittelbarer Küstennähe, in der man hierzulande nie überhaupt bauen dürfte und über einen Meeresspiegelanstieg, der wohl schon bei der Erbauung dieses Hauses etwa so war wie heute beobachtet. Die Überschrift: „Erosion durch Klimawandel“ entbehrt jeder Grundlage.
Das bekommt ein interessierter Leser in ca. 1 h Recherche heraus. So viel Raum in einem Nachrichtenmagazin für am Ende kaum etwas! Der einzige Neuigkeitswert liegt darin, dass man im Labor (!) ein neues Verfahren gegen Küstenerosion entwickelt hat, dessen Praxistest noch aussteht. Leider ohne Verlinkung, die hier jedoch enthalten ist, damit sich der interessierte Leser genauer informieren kann.
Hauptsache scheint zu sein, dass der Klimawandel an Allem Schuld hat. Hat er, wenn überhaupt, nur im Promille-Bereich eines natürlichen Vorganges und in keinster Weise hauptursächlich, wie die Überschrift suggerieren möchte. Und dann wundert man sich, auch im „Spiegel“, dass das Klimathema wohl verschlissen ist in der öffentlichen Wahrnehmung.
Einfache Antwort: Das Thema ist durch solche und viele andere schlecht gemachte (aber gut gemeinte) Artikel Jahrzehnte lang auf Verschleiß gefahren worden. Ohne Korrektur hin zu fachlich begründeten Beiträgen wird sich daran auch nichts ändern, so schlechter “sachfremder Kampfblatt-Journalismus”, so dermaßen schlecht recherchiert, hängt den Menschen offensichtlich einfach zum Halse raus.