Kipppunkte und die Angst davor

Von Frank Bosse

Es gab schrille Warnungen. Das ZDF titelte:  

„Diese Kipppunkte könnten Klima bald verändern“ 

Anlass war ein „Bericht über Kipppunkte“, der Ende 2023 die Schlagzeilen füllte.  Das „PIK“ (Potsdam Institut für Klimafolgenforschung) war (natürlich!) mit von der Partie: 

PIK: Fünf große Kippsysteme gefährdet 

„Fünf große Kippsysteme laufen bereits Gefahr, bei der derzeitigen globalen Erwärmung ihren jeweiligen Kipppunkt zu überschreiten“ 

Implizit steht da: Ein „Kipppunkt“ kann jederzeit erreicht sein, sehr bald.  

Nun nimmt aktuell die  „Deutsche Meteorologische Gesellschaft“ einen ganz anderen Standpunkt dazu ein:  

„Die heute vorliegenden Simulationen für die kommenden Jahrzehnte zeigen dramatische Auswirkungen des sich erwärmenden Klimas, aber darunter keine großflächigen Auswirkungen durch das Überschreiten von Kipppunkten. 

Das sind allerdings völlig andere Töne!  

Der aktuelle Bericht will mögliche Klimaauswirkungen nicht kleinreden.  
Gerade deshalb, so steht da geschrieben:  

„Auch wenn solche Veränderungen grundsätzlich möglich sind, können die Wahrscheinlichkeiten für deren Eintritt zurzeit kaum zuverlässig abgeschätzt werden. Die damit verbundene Alarmstimmung erscheint uns daher als wenig hilfreich oder gar schädlich für die Beförderung dringend notwendiger und wirkungsvoller Maßnahmen zur Stabilisierung des Klimas und der Anpassung an den Klimawandel.“ 

Man kann nur hoffen, dass dieses „Angst machen vor dem schwarzen Mann“ (Kinderlied!), von dem man nicht viel weiß, dessen Existenz und das Ausmaß seiner „Untaten“ sehr unsicher sind, schnell aufhört.  

Eine ganze „Klimabewegung“, „Die letzte Generation vor den Kipppunkten“ (so der vollständige Name) verdankt ihren Namen dieser Angst. Auch dazu äußert sich die Deutsche Meteorologische Gesellschaft und kommentiert mit Bezug auf die Irregeführten: 

Diese Angst ist nachvollziehbar, aber die dort vermuteten Ursachen im Klimasystem sind derzeit wissenschaftlich nicht belegbar.“ 

Es gibt jedoch immer zwei: Eine Gruppe, die verängstigt wird und die, die diese kontraproduktiven Ängste immer wieder schürt. So ist die Stellungnahme der Deutschen Meteorologischen Gesellschaft auch als Aufforderung an Medien zu verstehen, nicht blindlings solche ängstigenden Thesen „als reale Möglichkeit schon heute“ zu verkaufen. Ob die das lesen und entsprechend reagieren?
Wir werden es sehen, wenn die „Kipppunkt-Angst“ wieder geschürt wird von den üblichen Verdächtigen, steht da immer auch „wissenschaftlich nicht belegbar“? Vermutlich nicht.
 
Dazu passt eine aktuelle Studie der Konrad Adenauer Stiftung KAS.  
Sie hat eine repräsentative Umfrage durchgeführt, was die Bürger in Deutschland besorgt.

“Die größte Angst der Deutschen besteht aktuell vor den Spannungen zwischen Europa und Russland sowie vor Fremdenfeindlichkeit und einer Machtbeteiligung der AfD. 

Im Zeitverlauf zeigt sich, dass die Ängste vor internationalen (kriegerischen) Konflikten im Jahr 2022 stark zugenommen haben. Auch die Sorge vor einer Wirtschaftskrise ist (leicht) gestiegen. 

Die Angst vor den Auswirkungen des Klimawandels hat zuletzt abgenommen, zählt aber in der Wahrnehmung nach wie vor zu den größeren Bedrohungen. 

In den Parteianhängerschaften fallen die Ängste vor dem Klimawandel sehr unterschiedlich aus. Zwischen Grünen- und AfD-Anhängerschaft liegen 72 Prozentpunkte. 

Im Zeitverlauf ist sowohl die Sorge vor Zuwanderung als auch vor Fremdenfeindlichkeit gestiegen. Rund ein Fünftel teilt beide Ängste. 

Die Sorge vor Fremdenfeindlichkeit hat in allen Parteianhängerschaften – mit Ausnahme der AfD – zuletzt überdurchschnittlich zugenommen. 

Die Anhängerschaft des BSWs sortiert sich bei Bedrohungsgefühlen stringent zwischen Unions- und AfD-Wählerschaft ein und ist weit entfernt von den Bedrohungswahrnehmungen der Linken-Wählerschaft.”

Das Thema Klima rangiert immer noch weit oben, und es könnte Entwicklungen gegeben haben, die dafür gesorgt haben, dass es mittlerweile nur noch Platz 4 einnimmt. 
 
Die Corona-Zeit dürfte eine Rolle gespielt haben, aber auch der Krieg gegen die Ukraine. 
Beides ist offensichtlich dichter am Leben der Menschen als das Thema Klima. 
Aber, es kommt noch etwas anderes hinzu: Das Thema Klima ist omnipräsent in den Medien. 
Irgendwann kommt ein ganz anderer Kipppunkt, nämlich der, wo es dem Bürger auf gut Deutsch nur noch auf den Keks geht.
Die dramatische Abnahme der Teilnehmerzahlen beim letzten Klimastreik ist ein Beleg dafür. In Berlin gingen zu den besten Zeiten der Klimabewegung mehr als 250.000 Menschen auf die Straßen. Im letzten Jahr waren es nach Angaben der Polizei 13.000 und dieses Jahr um die 5.000 Teilnehmer. Wo sind die ganzen Unterstützer hin? 
 
Die Schwankungen bereits nach einem Jahr in den Ängsten der Befragten ist auffällig. 
Als die Inflation galoppierte, war die Angst vor den steigenden Preisen auf Platz 4, kaum beruhigt sich die Preisentwicklung, fällt das Thema aus den Top 4.

(Abbildung: Screenshot Studie KAS)

Die geballte Medienpräsens hat dem Thema Klima offenbar also nicht genutzt oder anders, es hat sich abgenutzt. Das lag mit Sicherheit auch an wenig differenzierten, häufig schrillen Aussagen dazu, mit denen die Öffentlichkeit manchmal bombardiert wurde. 
Das Problem von Berichten wie dem der Deutschen Meteorologischen Gesellschaft ist, dass dieser einfach nicht schrill genug ist. Er fällt in den Medien kaum auf. Dabei wäre es so wichtig, auch auf solche Stimmen zu hören.

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