Von Dr. Ludger Laurenz,
Zum Mitnehmen:
- Das Frühjahrswetter in den Monaten März bis Mai in Deutschland wird durch einen ca. 65-jährigen Klimazyklus beeinflusst.
- In den letzten 15 Jahren herrschte zyklusbedingt außergewöhnlich niederschlagsarmes, sonniges und warmes Frühjahrswetter vor.
- Aktuell befinden wir uns in einer ca. fünfjährigen Umbruchphase mit extremen Schwankungen zwischen den Jahren.
- Nach der Umbruchphase ist im Frühjahr für mindestens 10 Jahre – aufgrund des Trends früherer Zyklen – mit erheblich mehr Niederschlag, weniger Sonnenschein und niedrigerer Temperatur gegenüber dem Mittel der letzten Jahre zu rechnen.
Ich kann mich noch gut an den Jahrhundertsommer 1959 erinnern. Ende Juli, bei der Beerdigung meines Großvaters, waren Wiesen und Wegränder nach monatelanger Dürre und gnadenlosem Sonnenschein braun verbrannt. Ab 1960 folgten 10 Jahre mit fast ausnahmslos kühlem und regnerischem Frühjahr und meist auch Sommer. Auf unserem Hof im Münsterland wurde das Heu Ende Mai in mehreren Jahren durch Hochwasser von den Wiesen geschwemmt und erntereifes Korn im August durch ständigen Regen auf dem Halm zum Keimen gebracht und vernichtet.
Abbildung 1: Kühles, regen- und wolkenreiches sowie sonnenscheinarmes Frühjahr 2023 – Ausnahme oder neue Regel?
Diese Bilder vor Augen stellte ich mir die Frage, ob sich eventuell die 60er Jahre nach der Warmphase der letzten Jahre und diesem unangenehmen Frühjahr gerade wiederholen. Zur Beantwortung habe ich mich auf die Suche nach Zyklen in historischen Wetterdatenreihen des Frühjahrswetters gemacht, in März-, April- und Mai-Monatswerten von Sonnenscheindauer, Niederschlagssumme und Temperatur.
Je weiter Datenreihen in die Vergangenheit reichen, umso besser für die Suche nach Zyklen. Da für das Flächenmittel von Deutschland Niederschlagsdaten erst ab 1881 und Daten zur Sonnenscheindauer erst ab 1951 verfügbar sind, habe ich weiter zurückreichende Datenreihen von Einzelstandorten für die Suche genutzt. Die Datenreihe der Sonnenscheindauer von Potsdam reicht bis 1893 zurück und die der Niederschlagssumme vom Standort Münster, heute Münster/Osnabrück, bis 1853.
Ca. 65-jähriger Zyklus in der Frühjahrs-Sonnenscheindauer – in den nächsten Jahren Rückgang der Sonnenscheindauer zu erwarten
Für die Suche nach natürlichem Zyklus im Frühjahrswetter ist versuchsweise die Periodenlänge von 65 Jahren gewählt worden. Die Periodenlänge von ca. 65 Jahren setzt sich aus exakt drei ca. 22-jährigen Hale-Zyklen der Sonne zusammen. Über die Bedeutung des Hale-Zyklus der Sonne für unser Wetter habe ich bereits in mehreren Beiträgen in klimanachrichten.de berichtet. (Laurenz 2020-2022).
Der 65-jährige Klimazyklus lässt sich eindrucksvoll in der Frühjahrs-Sonnenscheindauer des Standortes Potsdam nachweisen. Werden die seit 1893 entstandenen drei 65-jährigen Zyklen der Sonnenscheindauer von März bis Mai übereinandergestapelt, ergibt sich das Bild in Abbildung 4.
Abbildung 2: Sonnenscheindauer März bis Mai von Potsdam seit 1893 im 65-jährigen Zyklus
Der Trend der Sonnenscheindauer der verschiedenen Zyklen (schwarz, blau, rot) läuft in ähnlichen Bahnen, was auf solaren Einfluss hindeutet. In der Mitte des 65-Jahreszyklus fällt die Sonnenscheindauer innerhalb weniger Jahre um ca. 100 Stunden bzw. ca. 25 Prozent ab. Wahrscheinlich wird sich die Sonnenscheindauer spätestens in drei Jahren angelehnt an die beiden vorhergehenden Zyklen für die Dauer von ca. 20 Jahren auf einem insgesamt 20 Prozent niedrigerem Niveau einpendeln.
Leider beginnt die Aufzeichnung der Sonnenscheindauer erst 1893 Mitten im 65-Jahreszyklus (schwarz). Die Werte davor lassen sich nur indirekt ermitteln. Für den Zeitraum vor 1893 kann von hohem Niveau der Sonnenscheindauer ausgegangen werden, abgeleitet aus dem vor 1893 weit unterdurchschnittlichen Niederschlagsniveau (s. Abbildung 4), das in der Regel mit hoher Sonnenscheindauer verknüpft ist. Die Sonnenscheindauer stürzt von 1893 innerhalb von nur 5 Jahren aus hohem Niveau regelrecht ab (s. schwarze Linie). Das gleiche Schicksal erlitt die Sonnenscheindauer nach 1959 (s. blaue Linie), um danach für ca. 20 Jahre auf niedrigem Niveau zu schwanken. Ähnlich könnte es der Sonnenscheindauer nach 2023 ergehen.
Die Frage, ob der Trend im aktuellen Zyklus (rot) mit den Maximalwerten der letzten Jahre auf natürlichem Einfluss beruht, kann durch den Vergleich mit früheren Zyklen beantwortet werden. Der Trend des gleitenden 11-jährigen Mittelwertes im aktuellen Zyklus (rote breite Linie) verläuft bis 2017 deckungsgleich zum vorhergehenden Zyklus (blaue breite Linie). Aufgrund des gemeinsamen Kurvenverlaufes ist der Anstieg der Sonnenscheindauer in den letzten 30 Jahren bis 2017 primär auf natürlichem Zykluseinfluss zurückzuführen. Für die Extremwerte seit 2018 (rot gestrichelt) dürfte die spezielle Sonnenaktivität innerhalb des 2. Hale-Zyklus verantwortlich sein (s. Laurenz 2021). Bei der Frequenzanalyse der Sonnenscheindauer März bis Mai von Potsdam 1893-2023 wird die Existenz des ca. 65-jährigen Zyklus bestätigt, neben einem ca. 32-jährigen Zyklus, s. Abbildung 3.
Abbildung 3: Bild der Frequenzanalyse der Sonnenscheindauer März bis Mai in Potsdam 1893 – 2023 (https://climexp.knmi.nl/period.cgi)
Die Spitzen der Kurven zielen auf ca. 32 und ca. 65. Das ist der Abstand in Jahren, mit dem sich die beiden Zyklen statistisch signifikant wiederholen.
Frühjahrsniederschlagssumme mit ca. 65-jährigem Zyklus?
Bevor nach der Existenz eines 65-Jahreszyklus in der Frühjahrsniederschlagssumme von Münster gesucht wird, soll in der folgenden Abbildung die Anomalie der Frühjahrsniederschlagssumme von 1853 bis 2023 diskutiert werden.
Abbildung 4: Anomalie der Frühjahrsniederschlagssumme von Münster seit 1853
Schon bei erstmaliger Betrachtung ist ein zyklischer Verlauf zu beobachten. Mit der Vorinformation zur Sonnenscheindauer ist auch hier ein Zyklus von ca. 65 Jahren zu vermuten. Im Abstand von ca. 65 Jahren enden Phasen mit überwiegend unterdurchschnittlicher Niederschlagssumme und beginnen Phasen mit mehrheitlich überdurchschnittlicher Niederschlagssumme (s. rot markierte Jahre).
Die seit 2008 in Deutschland lückenlos festbare Niederschlagsarmut im Frühjahr, in einigen Jahren kombiniert mit Dürreschäden in Land- und Forstwirtschaft, ist in der Darstellung gut zu erkennen. Ähnlich niederschlagsarm waren schon die Jahre vor 1890. Insofern liegt die Frühjahrsniederschlagssumme in den letzten 15 Jahren innerhalb der natürlichen Variabilität. Bei Zugrundelegung des ca. 65-Jahresrhytmus könnte mit 2023 eine neue Phase mit überwiegend hoher Niederschlagssumme beginnen. Im folgenden Abschnitt wird die Existenz des 65-Jahreszyklus noch näher überprüft.
Niederschlagssumme im April variiert in ca. 65-jährigen Zyklen
Das 65-jährige Zyklusmuster zeigt sich im April stärker als im März oder Mai. Deshalb werden hier die April-Daten verwendet. Drei ca. 65-jährige Zyklusabschnitte der April-Niederschlagssumme von Münster sind in der folgenden Abbildung entsprechend dem schon von der Sonnenscheindauer bekannten Prinzip übereinandergestapelt.
Abbildung 5: Niederschlagssumme im April in drei ca. 65-jährigen Klimazyklen in Münster/Osnabrück 1853 bis 2023
Die drei Kurven (rot, grün, blau) schwanken zwar von Jahr zu Jahr besonders zu Beginn stark. Trotzdem zeigt sich ein gemeinsamer Trend. Am Trend der 3 Zyklen ist eine ca. 30-jährige Periodizität erkennbar, wobei sich die beiden ca. 30-Jahresabschnitte leicht unterscheiden und damit auch die Existenz eines ca. 65-jährigen Zyklus andeuten.
Auffallend ist die ausgeprägten Minimumphase im Übergangsbereich zwischen dem ersten und zweiten Hale-Zyklus. In der Minimumphase liegt die Niederschlagssumme im Mittel nur halb so hoch wie in den Phasen mit Maximalwerten. Im weit zurück liegenden 1858 beginnenden Zyklus (blau) ist die Phase mit niedriger Niederschlagssumme noch extremer und länger ausgebildet als im aktuellen Zyklus.
In der Mitte des 65-Jahreszyklus verdoppelt (rot) und verdreifacht (blau) sich die Niederschlagssumme in den beiden verfügbaren Zyklen innerhalb weniger Jahre. Das ist die Phase, in der die Sonnenscheindauer in Abbildung 2 steil abfällt. Steiler Abfall der Sonnenscheindauer und gleichzeitig steiler Anstieg der Regensumme in Abbildung 5 passen zueinander. Zyklusbedingt muss für die Zeit nach 2023 damit gerechnet werden, dass die April-Niederschlagssumme für mindestens 10 Jahre auf hohem Niveau liegen wird.
Nach Jahrzehnten mit warmem Frühjahr ist in den nächsten Jahren wieder mit sinkender Temperatur zu rechnen
Bei der Suche nach natürlichen Temperaturzyklen steht fast immer die Atlantische Multidekadische Oszillation AMO mit schwankender Temperatur des Oberflächenwasser im Atlantik in Vordergrund, mit ca. 70-jähriger Periodenlänge. In der folgenden Abbildung wird versucht, den Einfluss der AMO mit einer Periodizität von 70 Jahren und den möglichen Einfluss des eher solar getriebenen 65-Jahreszyklus gegenüber zu stellen. Dazu wurde die Zeitschiene auf der unteren Achse so verschoben, dass fast ein gesamter AMO-Zyklus entsteht.
Abbildung 6: Mitteltemperatur März bis Mai im Flächenmittel von Deutschland im ca. 65-jährigen Klimazyklus und Trend der Atlantischen Multidekadischen Oszillation AMO
Trotz der Einzeljahresschwankungen ist ein zyklischer Trend zu beobachten (s. polynomische Kurven). Mitteltemperatur und AMO-Index (jeweils Mittelwerte von März bis Mai) verlaufen weitgehend parallel. Allerdings sinkt die Mitteltemperatur am Ende schneller als der AMO-Index. Das könnte ein Hinweis darauf sein, dass die Frühjahrs-Temperatur in Deutschland nicht nur mit der AMO korreliert, sondern auch durch die Sonnenaktivität beeinflusst wird.
Wie kann die Übertragung variierenden Sonnenaktivität auf die Erdatmosphäre und unser Wetter erklärt werden?
In den letzten Jahren hat die Erforschung der Verknüpfung zwischen Sonnenaktivität und Klima sowie Wetter große Fortschritte gemacht. Dabei sind zwei Punkte besonders erwähnenswert. Ein Punkt besteht in der Entdeckung der Startjahre der 22-jährigen Hale-Zyklen der Sonne (S. C. Chapman 2021, Figure 5). Mit Hilfe dieser Startjahre kann erstmals umfangreich nachgewiesen werden, dass sich bestimmte Wetterphänomene solar verursacht ca. alle 22 Jahre wiederholen (Laurenz 2020-2022).
Der zweite Punkt ist der Nachweis des Übertragungsweges variierender Sonnenaktivität von der Stratosphäre in 20 bis 50 Kilometer Höhe auf die Troposphärenzirkulation (S. Veretenenko 2022). Spontane Variationen der Sonnenaktivität korrelieren schon wenige Tage oder Wochen später mit Veränderung des Luftdruckes in Meereshöhe. Frau Veretenenko vom Ioffe Institute in St. Petersburg stellt eine ca. 63-jährige Periodizität sowohl in physikalischen Messwerten der Sonnenaktivität als auch in der atmosphärischen Zirkulation und Luftdruckwerten in Meereshöhe fest. 63 Jahre liegen nahe an der in diesem Betrag gewählten Zyklusdauer von ca. 65 Jahren.
Wer noch am Einfluss der Sonnenaktivität zweifelt…
Für diejenigen, die noch am Einfluss der Sonnenaktivität auf das Wetter in Deutschland zweifeln, ist der Einfluss des ca. 22-jährigen Hale-Zyklus der Sonne auf die Juni-Niederschlagssumme im Flächenmittel von Deutschland seit 1903 in Abbildung 5 hinzugefügt.
Abbildung 7: Juni-Niederschlagssumme im Flächenmittel von Deutschland während des ca. 22-jährigen Hale-Zyklus der Sonne
Hier sind sechs ca. 22 Jahre lange Abschnitte der Niederschlagssumme seit 1903 übereinandergestapelt. Die Startjahre (ganz links in der Abbildung) sind übrigens erst seit zwei Jahren bekannt (S. C. Chapman 2021, Figure 5). Für den gemeinsamen Linientrend in den Zyklusjahren 8 bis 13 kann nur die Variation der Sonnenaktivität verantwortlich sein. Ein Zufall ist auszuschließen.
Offensichtlich bestimmt die Variation der Sonnenaktivität unser Wetter abrupt sogar in Einzeljahren und Einzelmonaten.
Mit dem Wechsel von einem auf den nächsten Hale-Zyklus startet die Sonne innerhalb weniger Wochen ein neues Aktivitätsprogramm, das sich ca. alle 22 Jahre nach gleichem Muster wiederholt. Jeder einzelne Monat und jedes einzelne Jahr des 22-jährigen Hale-Zyklus der Sonne ist durch ein spezifischen Aktivitätsmuster geprägt, das auf die Erdatmosphäre einwirkt und solare Wettermuster wie in Abbildung 5 erzeugen kann. Für das aktuelle Jahr 2023, einem Hale-Zyklusjahr 13 (s. rote Säule in Abbildung 7), besteht eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für eine relativ niedrige Niederschlagssumme wie schon in drei Hale-Zyklen zuvor.
Klimatrends, die sich in natürlichen Zyklen wiederholen, können nicht anthropogenen Ursprungs sein.
Je länger ich nach natürlichen Zyklen in historischen über 100 Jahre langen Datenreihen suche, umso mehr natürlichen Antrieb durch variierende Sonnenaktivität und Ozeanzyklen finde ich. Die Ergebnisse meiner bisherigen Recherche sind in einer Publikation (Influence of solar activity changes on European rainfall) und mehreren Beiträgen in klimanachrichten.de 1 und klimanachrichten.de 2
dokumentiert. In den letzten Jahren hat die Sonne als Taktgeber und Gestalter von Klima und Wetter erheblich an Gewicht gewonnen. „The science is not settled“!
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Hinweis der Redaktion: Der Beitrag spiegelt die Meinung des Autos wieder. Leserpost leiten wir gerne an den Autor weiter.