IEA prognostiziert neues Allzeithoch beim Kohleverbrauch – ausgerechnet Wind- und Wasserkraft sind mitschuldig
Sie erinnern sich noch an die Prognosen? Die Kohle sollte auf dem Rückzug sein, die fossilen Energieträger verdrängt, die Energiewende unaufhaltsam. Die Internationale Energieagentur (IEA) muss nun eine bemerkenswerte Nachricht verkünden: Die weltweite Nachfrage nach Kohle wird 2025 einen historischen Höchststand von 8,85 Milliarden Tonnen erreichen – ein Plus von 0,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
USA: Plus acht Prozent
In den USA steigt die Kohlenachfrage 2025 um acht Prozent. Nach 15 Jahren kontinuierlichen Rückgangs – durchschnittlich sechs Prozent pro Jahr – kehrt die Kohle zurück. Die Gründe: höhere Erdgaspreise und verlangsamte Stilllegungen von Kohlekraftwerken. Was als struktureller Wandel verkauft wurde, erweist sich als konjunkturabhängige Momentaufnahme.
Europa: Wenn Wind und Wasser versagen
Die eigentliche Pointe spielt sich in der Europäischen Union ab. Hier ging die Kohlenachfrage zwar zurück, aber „deutlich weniger stark als in den letzten zwei Jahren“. Der Grund laut IEA: „weil Wind- und Wasserkraft in der ersten Jahreshälfte weniger Energie lieferten“.
Die Technologien, die fossile Energieträger ersetzen sollten, versagen genau dann, wenn man sie braucht. Die erste Jahreshälfte 2025 war geprägt von Windflauten und niedrigen Wasserständen. Das Ergebnis: mehr Kohleverbrennung. Die Ablösung grundlastfähiger Kraftwerke durch wetterabhängige Energiequellen führt dazu, dass bei Flaute auf fossile Backups zurückgegriffen werden muss.
Die globale Perspektive
Die Zahlen im Detail:
- China (56% des weltweiten Verbrauchs): Nachfrage stagniert bei 4.953 Millionen Tonnen
- Indien: Erstmals seit Jahrzehnten rückläufiger Verbrauch wegen intensiver Monsunzeit – vorübergehend
- USA: Anstieg um 37 Millionen Tonnen absolut
- EU: Verlangsamter Rückgang wegen geringerer Wind- und Wasserkraftproduktion
Die IEA erwartet bis 2030 einen leichten Rückgang der globalen Nachfrage auf das Niveau von 2023. Allerdings mit dem Hinweis: „Sollte China eine schneller als erwartete Zunahme des Stromverbrauchs sehen oder langsamere Integration von Erneuerbaren, könnte die globale Kohlenachfrage über den Prognosen liegen.“
Kohles Anteil an der Stromerzeugung
Keisuke Sadamori, IEA-Direktor für Energiemärkte, gibt zu: „2013 lag der Kohleanteil an der Stromerzeugung bei 41 Prozent, 2025 erwarten wir etwa 34 Prozent. Das ist der niedrigste Wert in der Geschichte der IEA-Statistiken.“ Klingt nach Erfolg – wäre da nicht der absolute Verbrauchsrekord. Die Stromerzeugung insgesamt ist von 2013 bis 2025 um etwa 7.000 TWh gestiegen. Kohle verliert Anteile, nicht aber absolut.
Warum die Stromnachfrage explodiert
Die globale Stromproduktion erreichte 2024 rund 27.000 TWh und wird bis 2027 auf über 30.500 TWh steigen – ein Zuwachs von 3.500 TWh in drei Jahren. Das entspricht der jährlichen Hinzufügung der gesamten Stromnachfrage Japans. Die IEA prognostiziert ein Wachstum von knapp vier Prozent pro Jahr bis 2027, deutlich über dem historischen Durchschnitt von 2,6 Prozent (2015-2023).
Die Treiber dieses Wachstums sind vielfältig:
Klimatisierung: Die Nachfrage nach Klimaanlagen boomt. In Indien wurden 2024 14 Millionen Einheiten verkauft – 27 Prozent mehr als 2023. Bereits heute machen Klimaanlagen 60 GW der Spitzenlast aus, obwohl nur 20 Prozent der Haushalte überhaupt ein Gerät besitzen. Bis 2030 könnte Kühlung ein Drittel der indischen Spitzenlast ausmachen (140 GW). Jedes zusätzliche Grad Celsius Durchschnittstemperatur erhöht die Spitzenlast um 7 GW – 2027 könnten es 11 GW pro Grad sein.
Datenzentren und KI: In den USA wird die Stromnachfrage von Rechenzentren von 25 GW (2024) auf über 80 GW (2030) steigen. Global verbrauchen Datenzentren derzeit 500-650 TWh jährlich – bis 2030 werden es je nach Szenario 770 bis 1.280 TWh sein. Die KI-Revolution ist dabei der größte Einzeltreiber. Die IEA rechnet allein für USA, China und EU mit einer Verdopplung des Datacenter-Verbrauchs bis 2030.
Elektrifizierung der Industrie: In China verbraucht allein die Produktion von Solarpanelen, Batterien und Elektrofahrzeugen 300 TWh pro Jahr – so viel wie ganz Italien. Diese Sektoren machten 2022-2024 etwa 35 Prozent des Wachstums der industriellen Stromnachfrage aus. Der Industriesektor wird weiterhin etwa 50 Prozent des chinesischen Nachfragewachstums treiben.
Elektromobilität: 17 Millionen Elektrofahrzeuge wurden 2024 verkauft (+25 Prozent), der Stromverbrauch im Transportsektor stieg um acht Prozent.
Schwellenländer-Wachstum: 85 Prozent des globalen Stromnachfragewachstums bis 2027 stammt aus Entwicklungs- und Schwellenländern – davon entfallen allein 60 Prozent auf China und Indien. China erreicht 2025 die 10.000 TWh-Marke beim Jahresverbrauch und wird damit für die Hälfte des weltweiten Nachfragewachstums verantwortlich sein.
Die IEA erwartet bis 2026 über 29.000 TWh globale Stromnachfrage. Die Stromnachfrage wächst damit doppelt so schnell wie der gesamte Energiebedarf. Und genau hier liegt das Problem: Dieses explosive Wachstum muss gedeckt werden – wetterabhängig oder nicht.
Das Intermittenz-Problem bleibt ungelöst
Bei diesem massiven Nachfragewachstum offenbart sich das Grundproblem: Ein Energiesystem, das auf wetterabhängigen Quellen basiert, benötigt backup-Kapazitäten. In Europa führte reduzierte Wind- und Wasserproduktion im ersten Halbjahr 2025 direkt zu höherem Kohleverbrauch. Die Konsequenz: CO₂-Emissionen steigen, statt zu fallen.
Für 2025 prognostiziert die IEA eine globale Stromerzeugung von 32.200 TWh für die Kohleverstromung allein. Erneuerbare werden „in Rekordzahlen“ ausgebaut und sollen 2025 erstmals mehr produzieren als Kohle. Dennoch bleibt die Kohleverstromung mit 5.964 Millionen Tonnen „weitgehend stabil“, gestützt durch „saisonale Heizbedarfe und Systemsicherheitsanforderungen, besonders in Asien“. Bei jeder Flaute springt die Kohle ein.
Indiens Zukunft
Indien wird bis 2030 den größten absoluten Anstieg verzeichnen: über 200 Millionen Tonnen zusätzliche Nachfrage, durchschnittlich drei Prozent pro Jahr. 14 Gigawatt neue Kohlekapazität gehen 2025 ans Netz. Die IEA stellt fest: „Obwohl erneuerbare Energien schnell wachsen, können sie allein nicht mit dem Wachstum der Stromnachfrage Schritt halten.“
Fazit
8,85 Milliarden Tonnen Kohle in 2025 – ein neuer Rekord trotz massiven Ausbaus erneuerbarer Energien. Die IEA-Zahlen zeigen: Die Energiewende in ihrer jetzigen Form ersetzt fossile Energien nicht, sondern macht uns abhängiger von ihnen. Statt zuverlässige Energie zu liefern, schafft sie ein instabiles System, das bei Windflauten auf Kohle zurückgreift.
Der Kohleverbrauch erreicht Höchststände nicht trotz, sondern wegen unzureichender Backup-Strategien für volatile Energiequellen. Bis eine Lösung für das Speicher- und Grundlastproblem gefunden ist, bleibt die Kohle – weil man sie braucht, wenn Wind und Wasser versagen.
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Den vollständigen IEA-Bericht „Coal 2025“ finden Sie hier. Die zugehörige Pressemitteilung ist hier verfügbar. Die Daten zur Stromnachfrage-Entwicklung stammen aus den IEA-Berichten Electricity 2025, Electricity Mid-Year Update 2025 und Global Energy Review 2025.