Der verdrängte Flaschenhals: Wenn der Energiewende die Rohstoffe ausgehen

Neue Studien zeigen: Der Bedarf an kritischen Metallen steigt sechsmal schneller als die Versorgung – Silber wird 2030 zur Hälfte fehlen

Wir alle kennen die Erzählung: Wind und Sonne sind unbegrenzt verfügbar, sauber und nachhaltig. Die Technologie ist da, man muss sie nur ausbauen. Wenn da nicht ein kleines Detail wäre, das in den bunten Broschüren der Energiewende gerne übersehen wird: die Rohstoffe. Denn während Sonne und Wind tatsächlich reichlich vorhanden sind, gilt das für die Metalle und seltenen Erden, die man braucht, um diese Energie zu ernten, keineswegs.

Die Internationale Energieagentur (IEA) hat in ihrem aktuellen „Global Critical Minerals Outlook 2025“ die Zahlen vorgelegt. Und die haben es in sich – auch wenn sie in gewohnt optimistischem Tonfall präsentiert werden.

Die Zahl des Schreckens: Faktor 6,4

Eine aktuelle Studie hat berechnet, was das Ziel bedeutet, die Kapazität erneuerbarer Energien bis 2030 zu verdreifachen: Der jährliche Bedarf an 21 kritischen Mineralien steigt von 4,7 Millionen Tonnen (2022) auf 30 Millionen Tonnen (2030). Das ist ein Anstieg um den Faktor 6,4 – in nur acht Jahren.

Die IEA selbst prognostiziert für ihr Netto-Null-Szenario (NZE) bis 2040: Lithium-Nachfrage steigt um Faktor 9, Graphit vervierfacht sich, Kobalt und seltene Erden verdoppeln sich, Kupfer steigt um 50 Prozent. Allein die Clean-Energy-Technologien würden bis 2040 knapp 40 Millionen Tonnen dieser Mineralien verschlingen.

Das Silber-Dilemma: Wenn die Sonne teuer wird

Besonders dramatisch ist die Lage bei Silber. Eine europäische Studie von Ende 2025 rechnet vor: Die globale Nachfrage wird bis 2030 auf 48.000 bis 52.000 Tonnen pro Jahr steigen. Die Versorgung? Folgt man historischen Trends, erreicht sie gerade mal 34.000 Tonnen. Das bedeutet: Nur 62 bis 70 Prozent der Nachfrage können gedeckt werden.

Die Solarindustrie ist dabei der größte Treiber. 2023 verbrauchte sie bereits 19 Prozent der globalen Silberproduktion – 2014 waren es noch 5 Prozent. Bis 2030 könnte der Anteil auf 40 Prozent steigen. Die neueren Solarzellen-Technologien (TOPCon, Heterojunction) benötigen dabei 1,5 bis 2 Mal mehr Silber pro Gigawatt als die älteren PERC-Zellen.

Die Konsequenz? Eine Studie aus 2023 zeigt: Würde man bis 2050 die für eine vollständige Elektrifizierung benötigten 63 Terawatt Photovoltaik installieren, würden 89 bis 93 Prozent der heute bekannten Silberreserven verbraucht. Bei dominanter TOPCon-Technologie könnte die jährliche Silbernachfrage der Solarindustrie bereits 2027 die 10.000-Tonnen-Marke überschreiten – das wären 43 Prozent der globalen Versorgung. Und das nur für Solar.

Kupfer: „Die Leitung reißt“

Kupfer ist das Rückgrat jeder elektrifizierten Infrastruktur. Ein Elektroauto benötigt doppelt so viel Kupfer wie ein Verbrenner, eine Offshore-Windanlage über 20 Tonnen pro Megawatt. Die IEA und S&P Global prognostizieren Versorgungsengpässe ab Mitte der 2020er Jahre – also jetzt.

Schaut man sich den zuletzt stark steigenden Kupferpreis an, scheint der Markt diese Einschätzung zu bestätigen: Aktuell liegt der Preis bei etwa 5,40 Dollar pro Pfund – 34 Prozent höher als vor einem Jahr. Allein im letzten Monat stieg der Preis um über 9 Prozent. Das sind keine normalen Schwankungen mehr, das ist Knappheit, die sich in Preisen niederschlägt.

Das Problem: Die Erzqualität sinkt seit Jahren. In Chile, dem größten Kupferproduzenten, hat sich der durchschnittliche Kupfergehalt im Erz in den letzten 15 Jahren um 30 Prozent verringert. Neue Kupferminen benötigen etwa 20 Jahre von der Entdeckung bis zur Produktion. Bis 2030, wenn die Energiewende signifikante Fortschritte zeigen soll, bleiben aber nur noch fünf Jahre. Eine heute geplante Mine liefert erst 2045 – viel zu spät.

Lithium: Der Flaschenhals der E-Mobilität

Lithium – das „weiße Gold“ der Energiewende. Die IEA erwartet Versorgungsengpässe ab 2027-2028, wenn die Produktionskapazitäten nicht drastisch erweitert werden. Aktuell befindet sich der Markt in einer paradoxen Situation: Die Preise sind 2024 um über 80 Prozent eingebrochen, weil kurzfristig Überkapazitäten bestehen. Doch diese Preise machen neue Investitionen unattraktiv – genau die Investitionen, die man für die prognostizierte Nachfragesteigerung bräuchte.

Die China-Frage: 86 Prozent Konzentration

Hier kommt die geopolitische Komponente ins Spiel. Die IEA stellt fest: Die Marktkonzentration bei kritischen Mineralien ist nicht gesunken, sondern gestiegen. Bei Kupfer, Lithium, Nickel, Kobalt, Graphit und seltenen Erden lag der durchschnittliche Marktanteil der drei größten Raffinations-Nationen 2024 bei 86 Prozent – 2020 waren es noch 82 Prozent.

Der Grund: Fast das gesamte Wachstum kam aus einer einzigen Quelle – Indonesien für Nickel, China für alles andere. China raffiniert derzeit knapp die Hälfte des weltweiten Kupfers und dominiert bei Lithium, Graphit, Kobalt und seltenen Erden mit ähnlichen Anteilen. Ende 2024 verhängte China Exportbeschränkungen für Gallium, Germanium und Antimon – Anfang 2025 folgten Wolfram, Tellur, Wismut, Indium, Molybdän und sieben schwere seltene Erden.

Mehr als die Hälfte aller energierelevanten Mineralien unterliegen mittlerweile Exportkontrollen. Die IEA prognostiziert, dass sich an dieser Konzentration in den nächsten zehn Jahren kaum etwas ändern wird – selbst bei heutigen politischen Vorgaben würde der Anteil der Top-3-Lieferanten nur marginal sinken und effektiv zum Niveau von 2020 zurückkehren.

Die Investitionsbremse: 5 Prozent statt 14 Prozent

Und hier wird es wirklich problematisch: Die Investitionen in kritische Mineralien sind 2024 nur um 5 Prozent gestiegen – nach 14 Prozent im Jahr 2023. Bereinigt um Inflation waren es real nur 2 Prozent Wachstum. Die Explorationstätigkeit stagnierte 2024 komplett, nach Jahren des Wachstums.

Der Grund sind die niedrigen Preise. Lithium-Preise fielen um 80 Prozent, Graphit, Kobalt und Nickel um 10 bis 20 Prozent. Gut für Verbraucher, schlecht für die Zukunft. Denn ohne Investitionen heute keine Minen morgen. Und ohne neue Minen keine Mineralien für die Energiewende übermorgen.

Ab welchem Punkt wird es zum Deckel?

Die entscheidende Frage lautet: Bei welchem Anteil erneuerbarer Energien am globalen Strommix wird die Rohstoffverfügbarkeit zum harten Deckel? Die Antwort ist komplex, aber die Daten geben Hinweise:

Für Silber wird es kritisch, wenn Solar weiterhin exponentiell wächst. Bei den aktuellen Trends könnte die Solarindustrie allein 2030 die Hälfte der globalen Primärproduktion beanspruchen. Das lässt für alle anderen Anwendungen (Elektronik, Medizintechnik, 5G) dramatisch weniger übrig. Wenn Solar tatsächlich wie von der IEA prognostiziert 2030 über 30 Prozent der globalen Stromerzeugung ausmacht, stößt man bei Silber an physische Grenzen.

Für Kupfer liegt der Engpass früher. Die Columbia University schätzt, dass Kupfer bereits ab 2026 knapp wird, wenn der Ausbau von Elektromobilität und Stromnetzen wie geplant voranschreitet. Bei einer vollständigen Elektrifizierung des Transports und massivem Netzausbau könnte Kupfer der limitierende Faktor werden, bevor Erneuerbare auch nur 50 Prozent des Strommix erreichen.

Die Studien zeigen: Ohne massive Verbesserungen bei Materialeffizienz, Recycling und Substitution drohen bei sechs Schlüsselmineralien Versorgungslücken: Lithium, Nickel, Graphit, Kobalt, Neodym und Kupfer. Und das bereits in diesem Jahrzehnt.

Verschweigt die IEA das Problem?

Interessanterweise: Nein. Die IEA berichtet ausführlich über all diese Probleme. Der „Global Critical Minerals Outlook“ ist mittlerweile ein jährlicher Bericht mit Hunderten Seiten Detail-Analysen. Was allerdings auffällt: Der Ton ist optimistisch. Es wird von „Herausforderungen“ gesprochen, von „Risiken“, die „managebar“ seien, wenn rechtzeitig gehandelt werde.

Nur: Wird rechtzeitig gehandelt? Die Investitionszahlen sagen Nein. Die Konzentrationstrends sagen Nein. Die physikalischen Realitäten sagen Nein.

Recycling: Der Rettungsanker?

Die IEA sieht Recycling als wichtigen Hebel. Bis 2050 könnte Recycling den Bedarf an neuer Minenproduktion um 25 bis 40 Prozent reduzieren – für Kupfer und Kobalt um 40 Prozent, für Lithium und Nickel um 25 Prozent. Klingt gut.

Das Problem: Recycling funktioniert nur, wenn genug Material im Kreislauf ist. Solarpanele haben eine Lebensdauer von 25+ Jahren. Die ersten massiven Installations-Wellen waren 2010-2015. Bedeutet: Relevante Recycling-Mengen aus Solar stehen frühestens ab 2035 zur Verfügung. Zu spät für die 2030-Ziele.

Bei Lithium-Batterien sieht es ähnlich aus. E-Auto-Batterien halten 10-15 Jahre. Die große E-Auto-Welle begann 2020. Recycling-Rohstoffe in relevanten Mengen? Frühestens Mitte der 2030er.

Die unbequeme Wahrheit: Grünen Bergbau gibt es nicht

Über 50 Prozent der heutigen Lithium- und Kupferproduktion findet in Regionen mit extremem Wasserstress statt. Die IEA stellt trocken fest, dass Klimawandel, Dürren und Überschwemmungen die Versorgung gefährden – ausgerechnet in den Abbaugebieten jener Mineralien, die den Klimawandel bekämpfen sollen. Die grüne Energiewende hinterlässt Abraumhalden in Chile, abgeholzte Regenwälder in Indonesien und verseuchte Flüsse im Kongo. Aber darüber spricht man nicht so gerne. 

Fazit: Die Physik schert sich nicht um Ziele

Die Energiewende hat ein fundamentales Problem, über das ungern gesprochen wird: Sie ersetzt eine auf Verbrennung basierende Wirtschaft durch eine auf Materialien basierende. Öl und Gas verbrennt man – danach sind sie weg, aber man kann neues fördern. Metalle und seltene Erden dagegen stecken in langlebigen Produkten fest.

Die IEA-Zahlen zeigen klar: Der Bedarf an kritischen Mineralien wird sechsmal schneller steigen als die Versorgung. Bei Silber fehlt 2030 ein Drittel. Bei Kupfer drohen Engpässe ab sofort. Bei Lithium ab 2027. Und 86 Prozent der Versorgung liegen in den Händen von drei Nationen – dominiert von China.

Man kann erneuerbare Energien ausbauen wollen. Man kann Klimaziele setzen. Man kann von 100 Prozent Ökostrom träumen. Aber wenn die Materialien nicht da sind, bleiben die Windräder im Lager und die Solarpanele ungebaut. Es ist die unsichtbare Grenze der Energiewende – und sie liegt näher, als viele wahrhaben wollen.

Die Energiewende wird nicht an mangelndem politischem Willen scheitern. Sie wird an

der Verfügbarkeit von ein paar Dutzend Elementen aus dem Periodensystem scheitern. Dagegen helfen keine Subventionen und keine Beschlüsse. Dagegen hilft nur Physik. Und die ist kompromisslos.

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Quellen: IEA Global Critical Minerals Outlook 2025, The Role of Critical Minerals in Clean Energy Transitions, Studie „Critical mineral bottlenecks constrain sub-technology choices„, Studie „Forecasting silver demand and supply by 2030„, Columbia University „Critical Mineral Supply Constraints

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Wir wünschen allen Lesern ein frohes Weihnachtstfest!

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