Die Billionen-Falle: DIHK-Studie entlarvt Energiewende als volkswirtschaftliche Überforderung

Eine neue Studie der Deutschen Industrie- und Handelskammer beziffert erstmals das ganze Ausmaß der Kostenexplosion – und entwirft einen „Plan B“ für den Ausstieg aus der Sackgasse

Sie erinnern sich noch an die Versprechen? Die Energiewende sollte bezahlbar bleiben, die Wirtschaft ankurbeln, Deutschland zum Vorreiter machen. Eine Erfolgsgeschichte, erzählt mit der Gewissheit derjenigen, die nie eine Bilanz lesen mussten und deren Karriere nicht davon abhängt, ob am Ende der Rechnung ein Plus oder ein Minus steht. Nun liegt eine Studie vor, die das ganze Ausmaß der Kostenkatastrophe erstmals in nüchterne Zahlen fasst – und sie lesen sich wie das Protokoll einer angekündigten Insolvenz.

Im Auftrag der Deutschen Industrie- und Handelskammer hat das Beratungsunternehmen Frontier Economics durchgerechnet, was die Fortführung der aktuellen Energiewendepolitik tatsächlich kostet. Die Ergebnisse sind nicht nur ernüchternd – sie sind alarmierend. Allein für das Energiesystem fallen bis 2050 Gesamtkosten zwischen 4,8 und 5,4 Billionen Euro an. Zum Vergleich: Das gesamte Bruttoinlandsprodukt Deutschlands betrug im Jahr 2024 etwa 4,1 Billionen Euro – für ein einziges Jahr. Die Energiewende verschlingt also mehr als das Eineinhalbfache dessen, was die gesamte deutsche Volkswirtschaft in zwölf Monaten erwirtschaftet.

Das Märchen vom billigen Ökostrom

Man hatte uns erzählt, erneuerbare Energien seien mittlerweile die günstigste Form der Stromerzeugung. Was man dabei vergaß zu erwähnen: Die reinen Erzeugungskosten einer Kilowattstunde Windstrom mögen niedrig sein – aber ein Energiesystem besteht nicht nur aus Windrädern und Solarpanels. Es braucht Netze, Speicher, Reservekraftwerke für windstille Nächte, Wasserstoffinfrastruktur und eine vollständige Transformation sämtlicher Endverbrauchssektoren.

Die Studie macht deutlich: In den nächsten zehn Jahren müssen allein für das Energiesystem zwischen 2,1 und 2,3 Billionen Euro investiert werden. Und das ist nur der Anfang. In den darauffolgenden fünfzehn Jahren bis 2050 kommen weitere 2,7 bis 3,2 Billionen Euro hinzu. Die jährlichen Investitionsbedarfe steigen dabei auf 113 bis 316 Milliarden Euro im Jahr 2035 – eine Größenordnung, die 15 bis 41 Prozent aller privaten Bruttoinvestitionen in Deutschland entspricht.

Man stelle sich das bildlich vor: Fast die Hälfte aller unternehmerischen Investitionen in diesem Land müsste in den nächsten Jahren allein in die Energiewende fließen. Geld, das dann nicht für Forschung, Entwicklung, Produktionsanlagen oder die Erschließung neuer Märkte zur Verfügung steht. Kapital, das der Volkswirtschaft an anderer Stelle fehlt.

Die Ineffizienz als Geschäftsmodell

Besonders bemerkenswert an der Frontier-Studie ist nicht nur, dass sie die Kosten beziffert – sondern dass sie aufzeigt, wie ein Großteil dieser Kosten durch ineffiziente politische Vorgaben und ideologisch motivierte Technologieverbote künstlich in die Höhe getrieben wird.

Nehmen wir die Photovoltaik: Bis Ende 2023 entfielen zwei Drittel der installierten PV-Kapazität auf Aufdachanlagen – obwohl deren spezifische Investitionskosten bei rund 1.525 Euro pro Kilowatt liegen, während Freiflächenanlagen mit etwa 845 Euro pro Kilowatt auskommen. Warum? Weil die Förderlogik kleinere, dezentrale Anlagen bevorzugte. Das Ergebnis: höhere Kosten, höhere Netzbelastungen, niedrigere Effizienz.

Oder betrachten wir die krampfhafte Fixierung auf grünen Wasserstoff. Während kostengünstigere Alternativen wie blauer Wasserstoff (aus Erdgas mit CO₂-Abscheidung) weitgehend ausgeschlossen werden, soll in Deutschland mit teurem Strom unter ungünstigen Standortbedingungen Wasserstoff produziert werden. Die Kosten: astronomisch. Der Klimavorteil gegenüber blauem Wasserstoff: marginal, wenn überhaupt vorhanden.

Die Studie benennt das Problem klar: Technologiespezifische Ausbauziele, großzügige Förderungen für politisch gewünschte Technologien und der weitgehende Ausschluss alternativer Optionen führen zu einem ineffizienten Erzeugungsmix. Mit anderen Worten: Der Staat spielt Ingenieur und scheitert daran grandios.

Der „Plan B“: Marktwirtschaft statt Planwirtschaft

Das eigentlich Bemerkenswerte an der Studie ist jedoch nicht die Kostenschätzung, sondern der Lösungsvorschlag. Die Autoren entwickeln einen „Plan B“ – einen grundlegend anderen Ansatz, der auf Technologieneutralität, Marktwettbewerb und internationale Kooperation setzt statt auf staatliche Detailsteuerung.

Kern des Konzepts ist ein umfassendes Cap-and-Trade-System, das sämtliche Treibhausgasemissionen über alle Sektoren hinweg abdeckt. Ein festes CO₂-Budget wird festgelegt, die Zertifikate können aber zeitlich flexibel innerhalb des Zeitraums bis zur Klimaneutralität genutzt werden. Entscheidend: Die Reduktionsziele werden regelmäßig an die Entwicklung einer internationalen Vergleichsgruppe (etwa der G20) angepasst. Deutschland reduziert maximal „G20 + X Prozent“ – ein spieltheoretischer Anreiz für mehr Klimaschutz, ohne durch strukturelle Alleingänge den Standort Deutschland zu ruinieren.

Der Clou: Innerhalb dieses Rahmens können sich kosteneffiziente Lösungen durchsetzen. Keine Ausbaupfade mehr für spezifische Technologien, keine Verbote alternativer low-carbon Optionen, keine ideologisch motivierten Förderungen. Der Markt entscheidet, welche Technologien zum Einsatz kommen – und zwar auf Basis von Kosteneffizienz und tatsächlicher Klimawirkung, nicht auf Basis politischer Präferenzen.

Die blinde Stelle: Kernenergie als Tabu

Und nun wird es besonders interessant – und zugleich enttäuschend. Denn selbst dieser angeblich so technologieoffene „Plan B“ klammert eine zentrale Option kategorisch aus: die Kernenergie.

In der Ergänzungsstudie wird der „Verzicht auf Kernenergie“ zwar explizit als eines der strukturellen Probleme Deutschlands benannt – aber auch im Plan B als gegeben hingenommen. Man könnte sagen: Frontier Economics öffnet das Fenster der Technologieoffenheit einen Spalt breit – aber nur, um dann eine der effizientesten und bewährtesten CO₂-freien Energiequellen demonstrativ draußen stehen zu lassen.

Das ist besonders bemerkenswert in einer Studie, die ansonsten akribisch jeden Cent zusammenrechnet und jede Ineffizienz anprangert. Während man zu Recht darauf hinweist, dass blauer Wasserstoff und CCS-Technologien nicht ideologisch ausgeschlossen werden sollten, akzeptiert man beim Thema Kernenergie stillschweigend das deutsche Dogma.

Dabei zeigt ein Blick über die Grenzen: Frankreich produziert Strom zu einem Bruchteil der deutschen Kosten und mit deutlich geringeren CO₂-Emissionen – dank Kernenergie. Selbst das grün regierte Schweden setzt weiter auf Atomkraft. Weltweit werden derzeit etwa 60 neue Kernreaktoren gebaut, weitere 110 sind in konkreter Planung. Small Modular Reactors (SMR) versprechen kürzere Bauzeiten und geringere Initialkosten. In den USA, Kanada, Großbritannien und selbst in einigen EU-Staaten wird intensiv an dieser Technologie geforscht und gebaut.

Deutschland hingegen schließt nicht nur seine letzten Kernkraftwerke, sondern baut sie zurück – während gleichzeitig Milliarden in volatile erneuerbare Energien, teure Speicherlösungen und aufwändige Netzausbauten fließen. Die Frontier-Studie rechnet vor, dass allein für die saisonale Speicherung von Wasserstoff Kapazitäten von 45 TWh aufgebaut werden müssen. Zum Vergleich: Ein einziges modernes Kernkraftwerk kann bei hoher Verfügbarkeit etwa 10 TWh Strom pro Jahr erzeugen – grundlastfähig, wetterunabhängig, auf kleiner Fläche.

Die Kosteneinsparungen, die der Plan B verspricht, sind beeindruckend. Aber sie wären noch deutlich höher, wenn man die Kernenergie-Option nicht von vornherein ausschließen würde. Stattdessen akzeptiert man den „Verzicht auf Kernenergie“ als unumstößliche Realität – als gehöre die Ablehnung dieser Technologie zu den Naturgesetzen und nicht zu den politischen Fehlentscheidungen.

Damit bleibt auch der Plan B letztlich gefangen in ideologischen Scheuklappen. Er ist mutiger als der Status Quo, kritischer als die meisten Energiewendestudien – aber er wagt nicht den wirklich radikalen Schritt, alle Optionen wirklich auf den Tisch zu legen.

Das Einsparpotenzial: Über eine Billion Euro – aber es könnte mehr sein

Die Modellberechnungen der Studie zeigen: Allein durch eine effizientere Neuausrichtung der Energiewende könnten bis 2050 die Gesamtsystemkosten um 530 bis 910 Milliarden Euro gesenkt werden. Das entspricht einer Reduktion von 11 bis 17 Prozent – bei identischen Treibhausgasemissionen in Deutschland.

Und das wohlgemerkt, ohne die Kernenergie-Option auch nur in Betracht zu ziehen. Man darf vermuten: Würde man dieses Tabu brechen, lägen die möglichen Einsparungen deutlich höher.

Wie ist das möglich? Durch zwei zentrale Mechanismen:

Erstens: Technologieoffenheit. Wenn kostengünstige Optionen wie Biomasse, CCS-Technologien oder Importe von Wasserstoff stärker genutzt werden können, sinken die Gesamtkosten dramatisch. Der Kohleausstieg erfolgt marktgetrieben früher, dafür wird Gas stärker genutzt. Teure heimische Produktion von grünem Wasserstoff wird durch Importe und blauen Wasserstoff ersetzt. Der Netzausbau kann kosteneffizienter gestaltet werden.

Zweitens: Zeitliche Flexibilität. Die Abkehr von starren jahresscharfen Zwischenzielen hin zu einem Emissionsbudget erlaubt es, kostengünstige Maßnahmen vorzuziehen und teure Technologien zeitlich zu strecken. Für die Klimawirkung zählt die Summe der Emissionen bis zur Klimaneutralität, nicht der genaue Zeitpunkt jedes Zwischenziels.

Hinzu kommen weitere Einsparpotenziale durch eine stärkere internationale Verzahnung. Würde Deutschland sein Emissionsbudget um eine Menge erweitern, die einer Verschiebung des Netto-Null-Ziels um zwei Jahre entspräche, ließen sich weitere 80 bis 220 Milliarden Euro einsparen. Mit entsprechendem Skalierungspotenzial.

In Summe: Einsparmöglichkeiten von potenziell weit über einer Billion Euro bis 2050.

Die bittere Wahrheit

Und nun kommt das eigentlich Erschütternde: Diese über eine Billion Euro Einsparpotenzial beziehen sich nur auf das Energiesystem. Die nachfrageseitigen Transformationskosten in Industrie, Gebäuden und Verkehr sind darin noch gar nicht berücksichtigt. Auch die stark reduzierten bürokratischen Aufwände sind nicht eingerechnet. Die Studie schätzt allein die energiewendegetriebenen Bürokratiekosten auf Bundesebene auf jährlich rund 10 Milliarden Euro.

Die realen Einsparpotenziale eines intelligenten Kurswechsels dürften also noch deutlich höher liegen.

Deindustrialisierung als Kollateralschaden

Während die Politik weiter von den Chancen der Energiewende fabuliert, zeigt die Realität ein anderes Bild. Mehr als jedes dritte Unternehmen bewertet die Energiewende bereits heute als nachteilig für die eigene Wettbewerbsfähigkeit – in der Industrie ist es sogar jedes zweite. Die Produktionsentwicklung in energieintensiven Industriezweigen ist seit Jahren rückläufig.

Allein in der ersten Hälfte des Jahres 2025 haben zahlreiche Unternehmen Stilllegungen oder Verlagerungen von Produktionsstätten ins Ausland angekündigt. Chemiekonzerne wie Ineos und Dow schließen Werke, der Solarglashersteller GMB meldete Insolvenz. Die Begründung: nicht tragfähige Energiekosten im internationalen Wettbewerb.

Es drohen strukturelle Verluste von Hunderttausenden gut bezahlten Industriearbeitsplätzen. Arbeitsplätze, die nicht durch schnellen strukturellen Wandel ausgeglichen werden können. Und das Perfide daran: Die Abwanderung der Industrie bleibt aufgrund des Carbon-Leakage-Effekts ohne positive Klimawirkung. Die Produktion findet weiterhin statt – nur eben woanders, oft unter weniger strengen Umweltauflagen.

Das Prinzip Hoffnung als Geschäftsmodell

Die aktuelle Energiewendepolitik basiert auf einer bemerkenswerten Annahme: dass andere Länder dem deutschen Beispiel folgen werden. Das Prinzip des Klimavorreiters Deutschland setzt voraus, dass die deutsche Energiewende ein Erfolg wird – und andere Nationen dann diesem Erfolgsmodell nacheifern.

Nur: Was, wenn das Gegenteil eintritt? Was, wenn andere Länder beobachten, wie Deutschland seine industrielle Basis ruiniert, Wohlstand vernichtet und die Bevölkerung mit immer höheren Energiepreisen belastet – und daraus den Schluss ziehen, dass man es besser nicht so macht wie die Deutschen?

Die Frontier-Studie macht deutlich: Der aktuelle Kurs ist nicht nur teuer, sondern in einer durch Zukunftsunsicherheiten geprägten Welt kaum tragfähig. Wenn kein Umsteuern erfolgt, werden die Belastungen der Wirtschaft weiter zunehmen, die internationale Wettbewerbsfähigkeit sinken und die Bezahlbarkeit sowie Akzeptanz der Energiewende gefährdet.

Ein Fenster, das sich schließt – aber noch nicht weit genug geöffnet

Die Studie der DIHK ist mehr als eine weitere Kostenrechnung. Sie ist ein Weckruf – und ein Angebot. Ein Weckruf, weil sie die Dimensionen der Kostenkatastrophe erstmals in ihrer ganzen Tragweite sichtbar macht. Ein Angebot, weil sie mit dem „Plan B“ eine Alternative aufzeigt, die ambitionierten Klimaschutz mit wirtschaftlicher Vernunft zu verbinden versucht.

Aber eben nur versucht. Denn auch dieser Plan B bleibt hinter dem zurück, was wirkliche Technologieoffenheit bedeuten würde. Solange selbst die Industrievertreter nicht wagen, das Kernenergie-Tabu anzutasten, bleibt auch der mutigste Reformvorschlag letztlich zahm. Man traut sich, über blauen Wasserstoff zu sprechen, über CCS-Technologien, über flexiblere Zielpfade – aber bei der Atomkraft macht man einen großen Bogen.

Das ist verständlich im heutigen politischen Klima. Aber es ist nicht ehrlich. Und es ist nicht konsequent.

Die Frage ist: Wird die Politik wenigstens dieses halbherzige Angebot annehmen? Oder wird man weiter dem Irrglauben anhängen, dass sich die Gesetze der Ökonomie durch moralische Überlegenheit außer Kraft setzen lassen?

Die kommenden Jahre werden zeigen, ob Deutschland den Mut zu einer echten Kurskorrektur findet – einer, die alle Optionen auf den Tisch legt, auch die unbequemen. Oder ob man weiter stur einen Weg verfolgt, von dem mittlerweile selbst die Industrie- und Handelskammer sagt: Das ist eine Sackgasse.

Das Zeitfenster für einen Kurswechsel schließt sich. Und mit ihm die Chance, die Energiewende noch zu einem Erfolg zu machen – statt zum teuersten Scheitern der deutschen Wirtschaftsgeschichte. Vielleicht bräuchte es nicht nur einen Plan B, sondern einen Plan C, der auch die letzte ideologische Schranke überwindet.

Aber dazu müsste man bereit sein, wirklich alles zu hinterfragen. Auch das, worüber man in Deutschland am liebsten schweigt.


Die Studie „Neue Wege für die Energiewende (‚Plan B‘)“ von Frontier Economics im Auftrag der DIHK ist hier verfügbar. Lesenswert, bedenkenswert.

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