Der DWD und seine Projektionen 

Von Frank Bosse

Die (geschätzte) Erwärmung bis 2070-2100 wird gewöhnlich aus zwei Größen gewonnen: Die eine ist ein „Emissionsszenario“.
Das sagt etwas aus über den damit verbundenen zusätzlichen Klimaantrieb vor allem von Treibhausgasen, im Fachjargon „ERF“ für „Effective Radiative Forcing“ genannt. Hier gibt es Pfade, die näherungsweise „Korridore“ für das ERF aufzeigen. Gegenwärtig befinden wir uns real auf einem Pfad, der auf 4,5 W/m² in 2100 hinausläuft, wir sehen gegenwärtig recht genau 3 W/m².

Ein anderes Szenario zeigt gar 8,5 W/m² an, das ist jedoch recht unrealistisch. Weit verbreitet (gewissermaßen ein Kontrolllauf) ist auch eine Modellvorgabe von 2,6 W/m², das ist sehr wahrscheinlich unrealistisch wenig. Bezeichnet wurden die Szenarien vom IPCC vom 5. Sachstandsbericht mit „RCP“, vom 6. Sachstandsbericht mit „SSP“, die Werte blieben unverändert. Was hat ein gegebener SSP mit dem globalen Mittel der Temperaturen (GMST für „Global Mean Surface Temperature“) zu tun? Hier tritt eine zweite Größe hinzu: die Empfindlichkeit des Gesamtsystems Erdklima auf das ERF. Bis 2100 ist dabei die Größe „TCR“ wichtig für „Transient Climate Response“, die die Temperaturänderung durch das ERF bei Verdopplung des CO2-Gehaltes (in °C/2*CO2) beschreibt, das sind ca. 3,8W/m².

Bis 2022 wurden etwa 1,5-1,6 K/2*CO2 festgestellt. Nun ist alles beisammen, um die GMST abzuschätzen, natürlich mit Unschärfen, zumal Modellierungen einen weiten Bereich der TCR umfassen. Aber: man kann Korridore beschreiben von dem, was zu erwarten ist für das globale Mittel.  

Das war der (wohl unvermeidliche) Exkurs in die Methoden und den Wortschatz der Klimawissenschaft. Nun wollen wir schauen, was der DWD an Projektionen für Deutschland veröffentlicht.  

Oft findet man diese Abbildung:  

Quelle 

In Rot die Projektion für RCP 8.5, in Blau die für RCP 2.6. Wir konzentrieren uns auf den roten Bereich, der sagt: In Deutschland erwarten wir im Mittel ca. 3,5°C mehr Erwärmung in 2070-2100 als im Mittel 1971-2000.

Vergleicht man das mit den Beobachtungen (das Balkendiagramm) so erschrickt man: Danach bewegen wir uns in Deutschland auf dem 8,5W/m²- Pfad! Aber halt: Für das ERF kann es keine „lokalen Pfade“ geben, es ist immer ein globaler Wert. Und da liegen wir wie berichtet deutlich darunter, etwa 4,5W/m² bis 2100. Wir schauen also nach, was das IPCC AR6 global vorhersieht: 

Quelle 

Auch da finden wir den mittleren Wert von ca. 3,5°C am Ende für das „dunkelrote“ 8,5W/m² Szenario. Er gilt jedoch für die Globalen Mitteltemperaturen, da sind 70% Ozeane enthalten. Die können ohne jede Begrenzung Wasser verdunsten, das kühlt und die Meeresoberflächentemperaturen steigen deutlich weniger als die Landtemperaturen, dort ist die Verdunstung mit ihrer kühlenden Wirkung viel eingeschränkter. Aber wie ist es möglich, dass der DWD für Deutschland die gleichen Temperaturen projiziert, wie es das IPCC für die globalen tut? 

Da wären wir auch bei dem berühmt-berüchtigten Satz: „X- Land erwärmt sich schneller als der Rest Welt“. Er ist eine ziemlich sinnentleerte Phrase, denn die Lösung steckt schon in dem Wort „Land“!  

Man kann Modellprojektionen auch lokal für Deutschland herunterladen, wenn man das tut und für das Mittel der Modelle die Graphik des DWD nachvollzieht, so erhält man das:  

In Rot (Grün) die Projektionen für Deutschland für das SSP 585 (SSP245) Szenario, die Beobachtungen bis 2025 (für das laufende Jahr geschätzt aus den Temperaturen Januar-September) in Schwarz. Das „Erschrecken“ ist nun nicht mehr so stark?  

Es ist bis etwa 2040 überhaupt nicht möglich, aus gegenwärtigen Daten auf eines der beiden Szenarien zu schließen, sie sind praktisch noch identisch bis dahin.  

Auch würden wir im Mittel 2071-2100 recht genau 5 Grad mehr sehen als bei 8,5W/m², nicht 3,5 Grad wie das die Abbildung des DWD suggeriert. Das Mittel der bei diesem unrealistischen Szenario prognostizierten Temperaturen liegt noch über dem oberen 85%-Bereich der DWD-Graphik.  Wie erwähnt, die Welt bewegt sich real auf dem 4,5 W/m² Pfad und da lesen wir für das Mittel 2071 bis 2100 (grün gestrichelt) 3 Grad mehr ab als im Mittel 1971-2000.

Das ist zweifelsohne auch eine Herausforderung, wir sahen in der letzten Dekade allerdings schon 1,6 Grad Erwärmung. Der DWD muss offensichtlich für seine Szenarien die globale Projektion benutzt haben und die gemessenen Landtemperaturen in Deutschland dazu ins Verhältnis gesetzt haben. Ein typischer Äpfel-Birnen-Vergleich. Der rechtfertigt nicht im Geringsten, für Deutschland einen „RCP 8.5-Pfad“ zu benutzen oder auch nur in einer Graphik nahezulegen! Es werden dann die oben erwähnten Größen “ERF” und “Empfindlichkeit” verwechselt. Das hält eine Klima-Dialogplattform nicht davon ab, die fehlerhafte Graphik zu verwenden und dann Prognosen nur für das 8,5 W/m²- Szenario zu promoten.  

Ob der DWD so etwas absichtlich veröffentlicht um eine „lokale RCP 8.5-Antwort“ zu rechtfertigen? Die kann es nicht geben, Landflächen sind jedoch von Natur aus empfindlicher bei gegebenem globalem Antrieb, der auch nur global sinnvoll bleibt. Und wenn wir den real sehr nahe dem 4,5 W/m² Szenario feststellen, so erwarten wir lokal in Deutschland ca. 3°C Erwärmung gegenüber dem Mittel 1971-2000 bei gegenwärtigen 1,6°C. Modellunsicherheiten und zukünftige Entwicklungen vorbehalten.  

Weil der Blick in so ferne Zukunft auch immer ein Blick in die Glaskugel ist.   

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