Von Frank Bosse
Die heurige Schmelz-Saison des Meereises in der Arktis hatte wenige Höhepunkte.
Die Abweichungen vom Mittelwert der 2000er Jahre im Vergleich zum Verlauf einiger Vorjahre:

Auffällig am dick rot gekennzeichneten Verlauf 2025 ist ein recht stetiger fallender Trend von Mitte Mai bis Ende Juni. Zu dieser Zeit ist die Sonneinstrahlung maximal und seit Mitte Juni war die Eis-Ausdehnung („Extent“) so gering wie in keinem Vorjahr. Wir hörten viel über das „mächtige“ „Eis-Albedo Feedback“.
Das funktioniert kurz gesagt so: Ist durch die Schmelze erstmal nur noch wenig helles Eis vorhanden, so kann es das einfallende Sonnenlicht auch weniger reflektieren, das trifft dann auf offenes Wasser, das wirft viel weniger zurück und daher wärmt es sich mehr auf und das führt wiederum zu mehr Eisschmelze. Wenn es so „mächtig“ zugange gewesen wäre, so hätte der fallende Trend in 2025 nach Ende Juni zwingend noch steiler nach unten weisen müssen.
Es trat jedoch genau das Gegenteil ein: Ab Mitte Juli ging es stetig nach OBEN in der Anomalie. Ende August erhob sie sich sogar über den Mittelwert der 2010er Jahre (gestrichelt) und das Eis hatte beim sehr wahrscheinlichen Minimum am 8.September rund 170.000 km² mehr Ausdehnung als dieser, insgesamt 4,56 Mio. km².
Ein Blick auf den Minimal-Extent ab 1995:

Die 1 Mio. km² als untere Grenze im Diagramm wurde gewählt, weil weniger Extent praktisch „eisfrei“ bedeutet.
Wir sehen genau das fortgesetzt auch in 2025, was in einer Arbeit behandelt wurde, über die wir beim „Arktis Rätsel“ berichteten.
Versetzt man sich allerdings in die Rolle eines Beobachters im Herbst 2012, so mussten einem schon die Haare zu Berge stehen. Damals sah man nur einen steilen Abwärtstrend seit ca. 1996.
Verlängert man den so einfach (und unwissenschaftlich), so lag es scheinbar auf der Hand: Durch den Klimawandel wird eine „eisfreie“ Arktis um 2020 erwartet. Das war eine damals durchaus nachvollziehbare Hypothese. Viel mehr brauchte man scheinbar nicht zur Erklärung der Beobachtungen, die jedoch offensichtlich über einen zu kurzen Zeitraum ausgewertet wurden.
Nun begab es sich jedoch, dass die Realität sich gänzlich anders zeigte. Seit 21 Jahren nämlich ist da nun ein von „null“ statistisch nicht unterscheidbarer Trend.
Nun braucht man zwangsweise auch neue Hypothesen, sich das Ganze zu erklären. Dabei setzt man die alte nicht etwa außer Kraft (recht banal: das Eis reagiert auf Erwärmung mit Schmelzen) sondern ergänzt sie:
„Da ist eine ausgeprägte Variabilität, die auch wirkt.“
Ein ganz heißer Kandidat dafür ist der Export von Eis aus der Arktis heraus über den Sommer. Das Eis wird also nicht nur durch das Schmelzen an sich reduziert, sondern auch durch das Transportieren von mehr oder weniger Eis in den warmen Atlantik. Da scheidet es dann zwangsweise dahin.
Das passiert praktisch ausnahmslos in jedem Sommer in einem Gebiet östlich von Grönland, die „Fram-Straße“. Eine Studie von 2017 hat herausgefunden, was den Export da zuvorderst beeinflusst:
Es ist die Luftdruckdifferenz zwischen Grönland und dem Gebiet über der Barents-See. Ist die hoch, sehr hoher Luftdruck über Grönland und sehr niedriger über der Barents-See, so wird da sehr viel Eis „entsorgt“ und umgekehrt.
Das kann man mit Daten nachvollziehen und erhält dieses Diagramm, die Daten hier ebenfalls ab 1995 gezeigt:

In blau die jährlichen Daten, gestrichelt der Mittelwert und in orange die doppelte Standardabweichung (95 % Konfidenz). Nach 2002 sehen wir einen stark ansteigenden Trend, mit Peaks in 2007 und, deutlich über die orange Schwelle von nur 5 aus 100 Jahren das Jahr 2012.
Das passt doch ganz gut zu dem „verbleibenden“ Extent im September. Wird da sehr viel Eis aus der Arktis exportiert, so bleibt weniger übrig.
Die Luftruckverteilung um Grönland ist jedoch ein Wetterphänomen, ein Langzeittrend (Klima!) ist beim Export nicht auszumachen.
Das bedeutet NICHT, dass nicht mehr Eis an Ort und Stelle in der Arktis schmilzt, wenn es wärmer wird. Merke: Eine ursprüngliche These ist nicht automatisch dadurch falsch, dass neue hinzutreten, hier schlicht Wetter.
Und so relativieren sich Erkenntnisse der Wissenschaft. Sie irrt sich empor.
Auch das so „mächtig“ geglaubte Eis-Albedo Feedback kann nicht so mächtig sein, wie man annahm. Sonst wäre der Verlauf auch der Saison 2025 nicht so gewesen wie er nun mal war.
Errechnet man für das Arktiseis ein „Energiebilanzmodell“ (das ist KEIN Klimamodell, die kommen mit der Arktis nur sehr gemischt klar) so ergibt sich heute das erste mögliche „eisfreie“ Jahr (unter 1 Mio. km² beim Minimum) um 2060, unter Berücksichtigung auch von ungünstigem Wetter wie 2012. Durch die Erwärmung allein selbst wohl gar nicht, wenn die Emissionen auf einem Weg bleiben, auf dem sie gegenwärtig sind (+4,5 W/m² Strahlungsantrieb in 2100).
So mächtig wie man annahm, wirkt auch der Klimawandel in der Arktis nicht.
Klingt nicht unbedingt nach schrillem Alarm? Ist ja auch angewandte Wissenschaft!