Die Nordsee “überhitzt” aktuell… 

Von Frank Bosse

So etwa kann man diese Meldung deuten, als Beispiel hier der Tagesspiegel.  

„Wärmer als üblich“: Bundesamt meldet Rekordtemperaturen in Nord- und Ostsee 

Ungewöhnlich warme Wassertemperaturen in Nord- und Ostsee alarmieren Experten. In einigen Regionen lagen die Werte bis zu zwei Grad über dem langjährigen Mittel. 

Es wurden Experten zitiert mit solchen Aussagen:  

Die gesamte Nordsee erlebte das wärmste Frühjahr seit Beginn der aktuellen Auswertungen im Jahr 1997, wie das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) in Hamburg mitteilte.  

Man kann so etwas heute relativ leicht nachvollziehen, mit dem KNMI-Climate Explorer.  
Er liefert eine wohl einzigartige Datensammlung und ermöglicht dem etwas geübten Nutzer recht komplexe Operationen unter Nutzung eines Großrechners beim niederländischen Klimadienst KNMI.  

Unser Check ist nicht sehr anspruchsvoll. Man klicke rechts bei der Navigation auf „Monthly Observations“ unter “Select a field” und suche in dem riesigen Angebot da „SST“ für „Sea Surface Temperatures“. Dann benutze man die hochaktuelle Datenreihe „1/4° NOAA OI v2 SST“. Klick!  

Es folgt eine Eingabemaske für die Koordinaten der Fläche, die zu untersuchen ist. Wir berücksichtigen den Text der Pressemeldung „gesamte Nordsee“, suchen die Werte heraus, evtl. mithilfe von „Google Earth“ und geben sie ein. Es sollte dann so aussehen auf dem Bildschirm: 

Am Ende auf „create“, Klick.  

Wir erhalten als Ergebnis verschiedene Diagramme, unten die „Anomalien“, das sind die Abweichungen vom Mittelwert der einzelnen Monate. Das sollte so aussehen: 

Nun reiben wir uns das erste Mal die Augen. Im Kontext seit 1997 (dem Beginn der Auswertungen laut Pressemeldungen) ist da gar nichts ungewöhnlich aktuell. Der letzte Datenpunkt (Juni 2025) ist nur vorläufig.  

Man kann auch die Jahreszeiten genau untersuchen. Dazu gehen wir in der Navigation rechts auf „Investigate this timeseries“ und klicken den Link: „View per Season“.  
Uns interessiert das Frühjahr, wie in der Pressemitteilung erwähnt. Das ist dann das Ergebnis:

Im Vorjahr lagen die Temperaturen sogar etwas höher. Berücksichtigt man die Unsicherheiten der Erhebungen war es in diesem Frühjahr nicht wärmer als 2007. Im Jahre 1990 (die Daten sind real ab 1982 verfügbar und nicht “nach 1997” wie verlautbart) war es nur 2/10 °C kühler. Dass es sich seit den 80er Jahren erwärmt hat (in diesem recht flachen Seegebiet besonders) mit der Erwärmung in Mitteleuropa ist allerdings nicht anders zu erwarten.  

Aber nein, es ist aktuell nicht das 

 „wärmste Frühjahr seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1997“ 

das war schon im Vorjahr, so sagen die Daten. Der Artikel kommt also ein ganzes Jahr zu spät und beschreibt einen nicht mal signifikanten (95% Konfidenz sind dafür erforderlich, erreicht werden keine 90%) Frühjahrs-Erwärmungstrend über die 28 Jahre ab 1997.  In Wahrheit ist da zu viel Variabilität durch Wetter für einen signifikanten Trend. Statistik lässt sich nicht so einfach hinters Licht führen. Bezieht man sich allerdings auf ganze Jahre, fällt da viel Wetter-Variabilität weg und der Erwärmungstrend über die volle Zeit der Daten ist auch hoch signifikant mit +1,5°C seit 1982.  
Nur kann man damit halt keinen “alarmierenden neuen Rekord” melden, der lag schon im Jahr 2022 für die Jahresmittel.   

Ob den zuständigen Redakteuren klar ist, was sie mit diesen reißerischen Saison-Meldungen anrichten? Die Leser werden förmlich übersättigt mit Klima- Horrormeldungen, die bei Licht besehen gar keine sind. In der Marketingbranche nennt man so etwas: „Overselling“. Das führt nach einigen Versuchen sehr oft zum Totalabsturz einer Marke. Es bleibt zu hoffen, dass auch Medienleute diese kleine Anleitung zum „Faktencheck“ lesen und vorsichtiger werden mit wohlfeilen Agenturmeldungen.  
Der Check dauert keine 10 min. So viel Zeit sollte schon sein bei einem so langen (und falschen) Artikel, vor allem über Wetter der frühjährlichen Nordsee.   

Teilen: