Über die „Unmöglichkeit“ eines „Iberout“ in Deutschland

Von Frank Bosse

Es wurde viel geredet und geschrieben seit dem 28.4.2025, 12:30 Uhr Ortszeit in Spanien und Portugal mit dem „Iberout“, dem Zusammenbruch des Stromnetzes auf der iberischen Halbinsel. Wir wollen uns hier bewusst nicht an wilden Spekulationen über die Ursache, den „Trigger“ beteiligen, sondern uns darauf konzentrieren, was gegeben ist. Aus verschiedenen Darstellungen und Auswertungen von der iberischen Halbinsel ist gesichert, dass es zu Schwingungen in Angebot und Nachfrage kam. Jeder Regelungstechniker folgert beim Anblick eines solchen Diagramms:

auf Regelungsprobleme durch zu „flinke“ Elemente im Regelkreis, die wilde Schwingungen zulassen. Es fehlt ein genügend großer integrativer Anteil (vgl. “PID-Regler”) der solche Schwingungen, hier ausgelöst durch (automatisches) An-u. Abschalten von Erzeugern/ Verbrauchern, wirkungsvoll dämpft. Das waren bisher große rotierende Massen von Kraftwerks-Turbinen, die mit 3000 Umdrehungen/Minute Nenndrehzahl (=50 Hz) eine sehr hohe Trägheit ins System eintrugen. 

Das bestätigt auch eine Stellungnahme des „Netzinformationsdienstes“ R2J vom Abend des 1. Mai 2025.

Der konkrete Anlass ist nach wie vor unklar, das ist wohl auch gar nicht so wichtig. Fest steht, dass durch den Verlust an mechanischer Trägheit mit Ausbau von erneuerbaren Energien (EE) ein kritischer Netzzustand auftrat. DAS ist die Ursache, der Anlass ist zweitranging. Hier ist als erstes die Leistungselektronik von Umrichtern von PV-Anlagen und auch Verbrauchern im Visier.

Zitat „Netzinformationsdienst“:

„Ein Stromnetz lässt sich mit den heute überwiegend eingesetzten, ’netzfolgenden‘ Wechselrichtern allein nicht stabil betreiben. Diese stabilisieren das Netz nicht von sich aus und können unter ungünstigen Umständen aus regelungstechnischer Sicht Schwingungen sogar verstärken. Rotierende Generatoren wirken dem durch ihre physikalischen Eigenschaften, insbesondere ihre Schwungmasse, entgegen und dämpfen solche Schwingungen.

Netzfolgende Wechselrichter benötigen eine stabile Spannung und Frequenz als Referenz (Führungsgröße), der sie folgen können. Konventionelle Generatoren liefern diese Referenz und stabilisieren das Netz durch ihre Schwungmasse. Sie synchronisieren sich und das Netz und helfen dabei, Spannung und Frequenz stabil zu halten.“

Das ist das Hauptproblem. Dann genügen offensichtlich unbekannte äußere Umstände und das System wird unkontrollierbar und kollabiert schlussendlich durch sich aufschaukelnde Oszillationen. Das ist die Lehre, die bereits heute zu ziehen ist.

Das würde bedeuten: In Spanien wurde zum Zeitpunkt vor dem „Iberout“ ca.60% der verbrauchten Leistung durch EE (Wind und Solar) erzeugt. Auch Windkraft kann nicht nennenswert stabilisieren, die vielen sehr kleinen Turbinen (im Vergleich zu Großkraftwerken) der Anlagen sind dazu ebenso nicht in der Lage. Eine Schwelle vor dem technisch möglichen „Tipping Point“.

Der Präsident der Netzagentur Klaus Müller sagte am Abend des Vorfalls der Tagesschau, dass ein solches Ereignis in Deutschland sehr unwahrscheinlich ist. Woher wusste er das, da es kaum gesicherte Erkenntnisse gab?  Nun, wissen konnte er es wohl nicht. Er stützte seine Vermutung auf die Tatsache, dass Deutschland im Zentrum von Europa viel besser gesichert sei durch höhere Vernetzung. Das ist zwar richtig, die so weit gehende positive Wirkung jedoch auch nur eine These. Verhindert sie wirklich den Blackout? Was ist gesichert? Es gibt eine kritische Schwelle, die vorranging vom Prozentsatz der Einspeisung von EE abhängig ist, solange es nicht Wechselrichter gibt, die das Problem lösen. Das ist nicht unmöglich, nur gibt es so etwas real im Netz noch nicht. Die Notwendigkeit wurde erst am 28. April 2025 aufgezeigt durch ein reales Ereignis.

Daher ein Blick auf die deutschen Zahlen am 1.Mai 2025, die Daten stammen von Agora.

Es sind zwei Kurven vermerkt. Die (alarm-) rote Kurve ist der Anteil von EE- Erzeugung am eigenen Verbrauch Deutschlands. Die geht zwischen 11 und 15 Uhr auf über 80% hinauf, weit über den spanischen Wert von ca. 60%. Nun ex- und importiert Deutschland Strom auch, das ist die „Vernetzung“. In der orangen Kurve ist das berücksichtigt. Auch hier ist zwischen 9 und 18 Uhr der Anteil über 60%, bis zu 67%. Dafür, dass wir nicht die hochgefährliche rote Kurve beschreiten, zahlt Deutschland für diesem Handel eine Gebühr von im Mittel 54 Eu/MWh zwischen 10 und 16 Uhr. Jetzt wird klar, wofür diese “Negativpreise” erhoben werden: Als “Bußgeld” für zu viel Erzeugung von Strom, der von Leistungselektronik geregelt werden muss, mit den nun bekannten großen Gefahren.       

Auch in Deutschland ist jedoch die grundlegende Bedingung für einen Kollaps: „Zu geringer integrativer Anteil in der Netzregelung“ gegeben, die Produktion von aus Sonne und Wind gewandelter Energie ist prozentual sehr ähnlich zu den Bedingungen des “Iberout”.

Es fehlt damit nur der (unglückliche) Trigger. Was das in Spanien genau war, ist nach wie vor unbekannt. Wichtig ist vielmehr, dass das System an sich das Potential zum Kollaps in sich trägt. Für eine Sicherheit davor müsste die Einspeisung von PV und Windstrom auf sicher unter 60% des Verbrauchs (einschließlich Handel) begrenzt werden, und zwar so lange, bis die Technologie der Leistungselektronik auf beiden Seiten der Balance (Erzeugung und Verbrauch) an die Gegebenheiten angepasst sind, die „Iberout“ demonstriert hat. So würde es der verantwortungsvolle Ingenieur empfehlen und Entscheidungsträger sollten es umsetzen und nicht keine 8 Stunden nach diesem Event irgendetwas und „sehr unwahrscheinlich in Deutschland“ in die Kamera sagen. In der Flugunfallforschung ist man deutlich weiter. Da bleiben Flugzeuge schonmal am Boden, bis die Ursachen eines Unfalls bekannt und abgestellt sind. Warum sind Entscheider für das Stromnetz nicht auch so vorsichtig? Oder werden sie es erst, wenn der immer mögliche Unfall bei über 60% Anteil EE-Einspeisung an der Netto-Last auch hier passiert ist? Das wäre allerdings sträflicher Leichtsinn. Bei einem längeren Ausfall des Stroms wären wir nach wenigen Tagen als Gesellschaft in der Steinzeit.

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