Das Max-Plank-Institut (MPI) für Meteorologie gilt sicher nicht als ein Lautsprecher in Sachen Klimaforschung bzw. Kommunikation darüber.
Wenn man Interviews mit Jochem Marotzke vom MPI liest, dann sind diese wohltuend sachlich und das Gegenteil von Alarmismus.
Wir erinnern an das Interview aus dem Jahre 2023, wo er sich zu Kipp-Punkten bei der AMOC äußert. Hanseatisch vornehm wird die Kritik vorgebracht.
Im Juli diesen Jahres erschien eine Veröffentlichung in Nature Communications, die zum Schluss kommt, die Atlantische Umwälzströmung könnte schon zwischen 2025 und 2095 kollabieren. Können Sie diese Studie einordnen?
Wenn sie recht hätten, würde die Zirkulation in diesem Jahrhundert mit 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit zusammenbrechen. Das ist eine wahnsinnig sichere Aussage verglichen mit dem Weltklimabericht, in dem man erst mal nur von einer Abnahme ausgeht, aber sich nicht sicher ist, ob ein Kollaps erfolgen könnte. Statistisch machen die Autoren der Veröffentlichung sehr gute Arbeit. Ihre physikalischen Annahmen gehen auf einen von mir während meiner Doktorarbeit vereinfachten Zusammenhang zurück. Diese Annahmen sind aber womöglich zu einfach.
Was wäre eine realistischere Annahme?
In realistischen Modellen wie auch in der Natur gibt es konkurrierende Prozesse. Zum Beispiel haben wir einen großräumigen Wirbel in subpolaren Breiten, der zusätzlich salzreiches Wasser aus dem Osten nach Norden transportiert. Einfachere Modelle lassen das außen vor. Sie sind leichter zu berechnen, aber man sollte nicht zu viele Schlüsse aus ihnen ziehen.
Nun lässt eine andere Studie des MPI aufhorchen.
Es geht um den Amazonas Regenwald oder besser um die Niederschläge dort:
Der drohende Verlust des Amazonas-Regenwaldes durch Abholzung beunruhigt Forschende, Aktivist*innen und Bürger*innen rund um den Globus. Die natürlichen Lebensräume, die die unvergleichliche biologische Vielfalt der Region erhalten, und wichtige Kohlenstoffspeicher stehen auf dem Spiel – mit weitreichenden Auswirkungen auf das globale Klima. Frühere Studien haben davor gewarnt, dass sich der Amazonas auf einen Kipppunkt zubewege, jenseits dessen der Wald die Fähigkeit verliere, sich selbst zu erhalten – und sich in eine Savanne verwandeln würde. Neue Forschungsergebnisse deuten jedoch darauf hin, dass dies möglicherweise nicht stimmt. Wissenschaftlerinnen des Max-Planck-Instituts für Meteorologie (MPI-M) haben gezeigt, dass der Niederschlag im Amazonasgebiet im Mittel erhalten bleibt, selbst wenn dieses vollständig abgeholzt würde.
Kipppunkt-Argument basierte auf vereinfachten Modellen
Der Grund, einen Kipppunkt zu befürchten, ist die Bedeutung der Vegetation bei der Bildung von Niederschlag: Pflanzen transportieren Wasser aus den Böden über ihre Blätter in die Atmosphäre und erzeugen so Feuchtigkeit. Diese erhält die Niederschläge im Amazonasgebiet aufrecht. Die kombinierte Fähigkeit von Böden und Pflanzen, Feuchtigkeit an die Atmosphäre abzugeben, wird in Fachkreisen als Evapotranspiration bezeichnet. Das Argument, dass die Entwaldung zu einer Verringerung der Evapotranspiration und damit der Niederschläge führt, wurde durch zahlreiche Modellierungsstudien gestützt. Sie hatten jedoch allesamt entscheidende Einschränkungen: Die Studien basierten entweder auf globalen Klimamodellen, in denen die Konvektion stark vereinfacht dargestellt ist – also der wesentliche Atmosphärenprozess im Amazonas, der Feuchtigkeit in Regen umwandelt. Oder sie beruhten auf regionalen Modellen, die eine Anpassung der großräumigen Zirkulation der Atmosphäre an die Entwaldung nicht erfassen.
Nun haben die MPI-M-Wissenschaftlerinnen Arim Yoon und Cathy Hohenegger zum ersten Mal das globale sturmauflösende ICON-Modell verwendet, um diese beiden Einschränkungen zu überwinden. Sie erstellten dazu eine globale Simulation der Atmosphäre mit einer horizontalen Auflösung von fünf Kilometern über einen Zeitraum von drei Jahren. Anstatt vereinfachte Faustregeln zu verwenden, um die Konvektion zu erfassen, löste das Modell diese explizit auf.
Wir gehen zurück in die Vergangenheit.
Das Potsdam Institut für Klimafolgenforschung PIK hat in einer Studie ein Jahr zuvor so ziemlich das Gegenteil herausgefunden. Da waren sie wieder die Kipp-Punkte und einer davon ging von sinkenden Niederschlägen aus, die den Amazonas zur Savanne machen könnten.
Auf der Grundlage zahlreicher wissenschaftlicher Ergebnisse identifizieren die Forscher fünf kritische Faktoren, die mit diesem Kipppunkt in Verbindung stehen: die globale Erwärmung, die jährlichen Niederschlagsmengen, die Intensität der saisonalen Niederschlagsveränderungen, die Länge der Trockenzeit und die fortschreitende Abholzung. Für jeden dieser Faktoren schlagen sie klare Belastungsgrenzen vor, um die Widerstandsfähigkeit des Amazonas zu erhalten.
„Wir haben beispielsweise festgestellt, dass der Amazonas-Regenwald bei einer mittleren Niederschlagsmenge von weniger als 1000 mm pro Jahr nicht länger überleben kann. Bereits unterhalb von 1800 mm pro Jahr sind abrupte Übergänge vom Regenwald zu einer savannenartigen Vegetation möglich. Dies kann durch einzelne Dürren oder Waldbrände ausgelöst werden, die beide in den letzten Jahren häufiger und heftiger geworden sind“, erklärt Da Nian, PIK-Forscherin und ebenfalls Autorin der Studie.
Die Auswirkungen des Waldverlustes machen an den Grenzen des Amazonasgebietes nicht halt. Die Feuchtigkeit, die über die sogenannten „fliegenden Flüsse“ des Amazonas transportiert wird, ist ein wesentlicher Bestandteil des südamerikanischen Monsuns und somit essentiell für Regen in einem Großteil des Kontinents. Außerdem speichert der Amazonas Kohlenstoff im Umfang von 15-20 Jahren der derzeitigen menschlichen CO2-Emissionen. Der Verlust des Amazonaswaldes beschleunigt so die globale Erwärmung und verschärft die Folgen.
Beide Aussagen des MPI haben etwas gemeinsam. Sie gehen beide davon aus, dass die vorangegangene Meldung auf vereinfachten, möglicherweise zu einfachen Modellen basieren.
Im Falle des Amazonas wird das PIK nicht explizit genannt, aber in Potsdam dürfte man das, was man in Hamburg erforscht hat, mit roten Ohren lesen.
Nun irrt sich Wissenschaft empor, das ist eine Binse.
Es ist aber auch eine Binse, dass Meldungen wie die vom PIK durch die Medien gejazzt werden und damit die Öffentlichkeit (voreilig) in Aufruhr versetzt. Von der des MPI werden Sie, liebe Leser, vermutlich abseits dieses Blogs wenig bis gar nichts mitbekommen.
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