Klimaschau 207: Permafrost – Kein globales Klima-Kippelement

Thema von Klimaschau 207: Permafrost – Kein globales Klima-Kippelement.

Permafrostböden speichern viel CO2 und werden oft als kritisches Kippelement im Erdsystem bezeichnet, das ab einer bestimmten Erderwärmung plötzlich und weltweit kollabiert. Doch das Bild einer tickenden Zeitbombe, die sich zunächst eher ruhig verhält und erst bei einem bestimmten Erwärmungsschwellenwert zündet, ist in der Forschung umstritten. Nach wissenschaftlicher Datenlage ist dieses Bild nicht korrekt, wie nun ein internationales Studienteam unter Leitung des Alfred-Wegener-Instituts zeigen konnte. Demnach gibt es nicht einen bestimmten globalen Klima-Kipppunkt, sondern viele lokale und regionale Kippelemente, die zu verschiedenen Zeitpunkten „zünden“, über die Zeit akkumulieren und den Permafrost so im Gleichschritt mit dem Klimawandel tauen lassen.

Permafrostböden bedecken etwa ein Viertel der Landfläche auf der Nordhalbkugel und speichern Unmengen von organischem Kohlenstoff in Form von abgestorbenen Pflanzenresten. Diese werden im gefrorenen Zustand nicht abgebaut. Erst wenn der Permafrost taut, werden Mikroorganismen aktiv und setzen viel Kohlenstoff als CO2 und Methan in die Atmosphäre frei. Die steigenden globalen Temperaturen könnten diese gigantischen Speicher also aktivieren und den Klimawandel durch zusätzliche Emissionen massiv verstärken. In der öffentlichen Debatte ist deshalb immer wieder von einer „tickenden Kohlenstoff-Zeitbombe“ die Rede. Dies beruht auf der Annahme, dass der Permafrost ähnlich wie der Eisschild auf Grönland eines von mehreren Kippelementen im Erdsystem ist. Demnach schwindet der Permafrost im Zuge der globalen Erwärmung zunächst nur langsam. Erst beim Überschreiten eines kritischen Schwellenwertes verstärken sich die Auftauprozesse plötzlich selbst und ein rasanter, unumkehrbarer globaler Permafrost-Kollaps setzt ein. Obwohl ein solches Auftauszenario häufig vermutet wird, konnte bislang nicht geklärt werden, ob ein solcher Schwellenwert wirklich existiert und bei welcher Temperatur dieser überschritten werden könnte.

Dieser Frage ging nun ein internationales Forschungsteam um Jan Nitzbon vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) auf den Grund. Der AWI-Forscher erklärt, Zitat: „Tatsächlich ist die Darstellung des Permafrosts als globales Kippelement in der Forschung umstritten. Auf diese Unklarheit weist auch der Weltklimarat IPCC in seinem letzten Sachstandsbericht hin. Wir wollten diese Wissenslücke schließen. Dazu haben wir für unsere Studie die verfügbare wissenschaftliche Literatur zu den Prozessen zusammengetragen, die das Auftauen von Permafrost beeinflussen und beschleunigen können. Unterlegt mit einer eigenen Datenanalyse haben wir alle aktuellen Erkenntnisse zu Auftauprozessen daraufhin bewertet, ob und auf welcher räumlichen Skala – lokal, regional, global – sie zu einem selbsterhaltenden Auftauen und somit zu einem ‘Kippen‘ bei einem bestimmten Erwärmungsschwellenwert führen können.“ Zitat Ende.

Im Ergebnis zeigt die Studie klar: Es gibt sich selbst verstärkende, teilweise unumkehrbare geologische, hydrologische und physikalische Prozesse, diese wirken jedoch nur lokal oder regional. Ein Beispiel ist die Bildung sogenannter Thermokarst-Seen. Dabei schmilzt Eis in Permafrostböden, die daraufhin absinken. Das Schmelzwasser sammelt sich an der Oberfläche und bildet einen dunklen See, der viel Sonnenenergie absorbiert. Dadurch verstärkt sich die Erwärmung des Permafrosts unter dem See weiter und es entsteht ein sich selbst erhaltender Tauprozess in dem Gebiet um den See. Ähnliche verstärkende Rückkopplungen fanden sich auch bei anderen für den Permafrost relevanten Prozessen wie dem Verlust von borealen Nadelwäldern durch Brände – auch hier jedoch nur im lokalen bis regionalen Maßstab. Es gibt keine Evidenz für sich selbst verstärkende interne Prozesse, die ab einem bestimmten Grad der globalen Erwärmung den gesamten Permafrost gleichzeitig erfassen und das Tauen global beschleunigen würden. Auch die geschätzte Freisetzung von Treibhausgasen würde mindestens bis zum Ende des Jahrhunderts nicht zu einem globalen Sprung in der Erderwärmung führen. Deshalb ist die Darstellung des Permafrosts als globales Kippelement irreführend.

Die Studie erschien im Juni 2024 in Nature Climate Change.

LINKS:

Nitzbon et al. 2024: https://www.nature.com/articles/s41558-024-02011-4

Pressemitteilung: https://www.awi.de/ueber-uns/service/presse/presse-detailansicht/tauender-permafrost-kein-globales-klima-kippelement-trotzdem-gravierende-auswirkungen.html

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