Von Frank Bosse
Ein sehr aufschlussreiches Interview steht da im „Spiegel“ hinter der Bezahlschranke.
Carla Hinrichs von der Bewegung „Die letzte Generation vor den Kippunkten“ (das ist ihr voller Name) kündigt etwas an, auch eine Umbenennung. Sie sagt unter anderem:
Hinrichs: Wir geben den Kampf für Klimagerechtigkeit nicht auf, aber wir wollen gleichzeitig an etwas bauen, das besser mit der neuen Realität fertig wird. Unser Zusammenleben kann besser und gerechter sein….Wir wollen Verbindungen herstellen und uns auf die kommenden Krisen vorbereiten. Es geht um gegenseitige Absicherung, um soziale Gerechtigkeit und Zusammenhalt…Es ist ein Griff nach den Sternen. Ich habe keinen Bock, kleine Schritte zu machen. Wir wollen, dass alles anders wird. Wir glauben, dass alles anders sein kann…Wir wollen in der Lage sein, in kritischen Momenten Tausende Menschen auf die Straße zu bringen, die für ein friedliches, demokratisches System einstehen. Dafür braucht es Training…Aber wer glaubt denn noch daran, dass alles so weitergehen kann wie bisher? Der Kapitalismus und unser gegenwärtiges politisches System stürzen uns in den Abgrund. Wir haben uns entschieden, da nicht einfach mitzumachen, nicht auf ein Wunder zu hoffen. Wir sind friedlich und demokratisch, wir verlangen mehr von der Demokratie, und wir glauben daran, dass wir eine bessere Welt schaffen können… Wenn wir erfolgreich sind, wird alles, was wir gemacht haben, sicher irgendwann, als friedliche Revolution bezeichnet werden.
Das klingt einigermaßen verwirrt und rätselhaft wie auch eine bevorstehende Umbenennung der Bewegung? Die “Letzte Generation” hat nach zahlreichen fragwürdigen Aktionen wie dem Besprühen des Brandenburger Tors mit Farbe (die dann später alles andere als einfach zu entfernen war) sowie dem Bewerfen von Kunstgegenständen mit Farbe oder Kartoffelbrei nicht gerade Sympathien gesammelt und nie eine Mehrheit hinter ihren Ideen versammeln können in der Vergangenheit.
Nicht immer hatten die Aktivisten durchdachte Pläne. Als sie sich in der Hamburger Elbphilharmonie am Geländer des Dirigentenpults anklebten, hatten sie nicht bedacht, dass dieses abnehmbar war.
Die beiden Aktivisten wurden schnell entfernt mit den Händen am Geländer klebend. Ein groteskes Bild, die Gesichter der Aktivisten waren allerdings noch grotesker anzusehen als sie ihren Flop bemerkten.
Wirklich große Massen erreichten sie nicht mit den Aktionen, eher genervte Betroffene.
Das sieht Hinrichs nicht anders in dem aktuellen Interview, wenn sie sagt:
“Die Massen sind nicht aufgetaucht”.
Nun also ganz anders. Wie sagt sie nicht, sie belässt vieles im vagen, will aber den Kapitalismus stürzen, weil dieser schlecht sei. Offenbar verschwendet sie keinen Gedanken daran, wie die Umwelt in anderen Gesellschaftssystemen gelitten hat, die Umwelt-Altlasten in der ehemaligen DDR sind ein mahnendes Zeichen.
In der Vergangenheit ab etwa 1850 hat auch noch kein anderes länger funktioniert in einem entwickelten Land.
Für Leser des Romans „Blackout-Morgen ist es zu spät“ von Marc Elsberg kommt das alles nicht überraschend.
In dem Thriller aus dem Jahre 2012 geht es um zunächst rätselhafte Manipulationen an der Stromversorgung, die schließlich zu einem nahezu globalen Blackout führen.
Gasverteilstationen waren zwar auch schon das Ziel der “Letzten Generation”, die Aktivisten scheiterten aber schon daran zu erkennen, welche Ventile lediglich Reserve-Ventile sind. Es war so, als sperre man eine Sackgasse an ihrem Ende. Sinnlos also.
Zum Ende des Buches hin („Tag 13“) erfährt man etwas über die Motive einer Gruppe, die sich im Roman „Reset“ nennt (ob das vielleicht der noch geheime Nachfolgename der “Letzten Generation sein könnte?) und die hinter den auch tödlichen Anschlägen steckten.
Marc Elsberg schreibt dazu im Buch:
„Die Pamphlete und Manifeste, die sie veröffentlicht haben, reden von einer gerechteren, solidarischeren Ordnung, die aber nur durch einen völligen Neustart zu erreichen sei. RESET. Das System auf null zurücksetzen. Wenn sie uns die Grundlagen unserer Zivilisation nehmen, so die Idee, müssten wir alles neu organisieren.“
Er hatte auch eine Einschätzung parat beim Schreiben, passend wie die “Faust aufs Auge” auch zu Hinrichs heute:
„Unter Terroristen aller Lager findet man einen Typ besonders häufig, unabhängig von weltanschaulichen Präferenzen: Wir nennen ihn den Typ des ›Gerechten‹. Er oder sie – zu den Attentätern zählen auch Frauen – ist der festen Überzeugung, im Besitz der alleinselig machenden Wahrheit zu sein. Was eigentlich nicht so schlimm wäre, jeder von uns kennt jemanden, der so denkt. Explosiv wird diese Eigenschaft, wenn solche Menschen zudem überzeugt sind, ihre Wahrheit mit jedem nur denkbaren Mittel durchsetzen zu dürfen.“
Für den Leser sowohl des Hinrichs-Interviews als auch des Romans scheint sich da in „Die letzte Generation vor den Kipppunkten“ und der möglichen Fortsetzung mit „anderen Mitteln“ unter neuem Namen ein „Blackout Reloaded“ anzubahnen. Hinrichs Botschaften erscheinen dann auch nicht mehr verschlüsselt. Fast identischer Duktus, sehr ähnliche Aussagen, sehr ähnlicher Spirit.
Im Urteil mag wohl auch Elsberg höchstpersönlich selbst womöglich folgen: Hier kündigt sich ganz offen folgenreicher Terrorismus an. Die Triebfeder scheint die „feste Überzeugung“ einer eingetretenen Klimakatastrophe zu sein. Schon im früheren Namen spielten Kipppunkte die Hauptrolle. In der Literatur erfährt man, wer diesen Begriff (Englisch „Tipping Points“) im Klimazusammenhang in das kollektive Bewusstsein pflanzte. Es war kein geringerer als H.-J. Schellnhuber, der Gründungsvater des PIK Potsdam, als er 2004 von einem BBC-Journalisten in Stockholm interviewt wurde. Er konnte nicht ahnen, dass seine damalige PR-Metapher schließlich auch der Antrieb sein könnte für terrorartige Aktionen, um die „Wahrheit der Bewegung auch mit jedem nur denkbarem Mittel durchsetzen zu wollen”, wie Elsberg schrieb. Oder doch??
Man kann nur hoffen, dass der Verfassungsschutz das alles auch konsequent im Blick behält.