Der tageweise eisfreie Nordpol im September? 

Von Frank Bosse

Ein aktueller Bericht des „Spiegel“ lässt aufhorchen:  

„Der Ozean rund um den Nordpol könnte schon 2027 tageweise eisfrei sein“ 

Man kannte solche Prognosen aus den Jahren um 2012: Tatsächlich ging zu dieser Zeit die Ausdehnung des arktischen Meereises (Sea Ice Extent, SIE) rasant zurück. Sah man im Jahre 2000 noch 6-7 Mio km² arktisches Sommereis, so waren es in 2012 nur noch knapp über 3 Mio km² im September der Jahre. Häufig genug extrapolierte man leider die Entwicklung (obwohl das eigentlich verpönt ist in der Wissenschaft) und erhielt dann (bei gar exponentiellem Weiterdenken, was wirklich vorkam) “Eisfrei-September” zwischen 2015 und 2020. Nichts davon trat ein, die Wissenschaft nahm stattdessen sogar erheblichen Image-Schaden durch diese wilden „Prognosen“, die sich wie bekannt in Luft auflösten, denn die Entwicklung nach 2012 stagnierte. Bisher wurde in keinem der 12 Jahre danach ein geringeres Minimum des SIE erreicht. Bei 1 Mio km² gilt das Gebiet als „eisfrei“, in 2024 waren es 4,38 Mio km² im Septembermittel.  

Nun also eine neue Arbeit, die als frühestes Datum 2027 für „tageweise eisfrei“ findet und die der „Spiegel“ als Anlass für die Überschrift benutzte.  

Man muss bei solchen kurzfristigen Terminen sehr aufpassen, sich nicht dem öffentlichen Gespött in 3 Jahren auszusetzen, wenn die Weissagung dann doch nicht eintritt. Daher ist es notwendig auch für ein Massenmedium, die Arbeit einzuordnen. Das hat der „Spiegel“ wohl unterlassen, denn er übernahm auch diese Sätze, als er die meteorologischen Bedingungen für ein solches Ereignis repetierte:  

„Auf einen ungewöhnlich warmen Herbst, der das Meereis schwächt, folgen ein warmer arktischer Winter, der die Neubildung von Meereis verhindert, und ein ebenfalls warmer Frühling.“  

Kann ein „warmer arktischer Winter“ die Neubildung von Meereis verhindern? In den Monaten ab November herrscht in der Arktis eine Sonneneinstrahlung von null, das Meer gibt jedoch unvermindert gespeicherte Wärme ab. Die Temperaturen da nördlich von 80°N im aktuellen Jahr: 

Quelle 

Ab November werden dort nie höhere Temperaturen als -10°C festgestellt, das bleibt dann bis in den Mai des Folgejahres so, es werden phasenweise -30°C erreicht. Unter solchen Bedingungen wird sich immer neues Eis bilden, das ist nicht zu „verhindern“!  In Gegenteil: Je weniger Eisfläche im September vorhanden ist, desto mehr kann das Wasser Wärme abstrahlen, da Eis gut isoliert und desto schneller bildet sich neues und mehr Eis. Das ist ein starkes negatives Feedback, seit Jahren in der Literatur zum Thema Arktis bekannt. 

Eine der beschriebenen Voraussetzungen für „tageweise eisfrei im September“ sind also so nicht erreichbar. Denn auch die Frühlingstemperaturen (März, April. Juni) bewegen sich da 2024 sehr eng im Bereich von 1958-2002, blau im Bild oben.  

Als Besonderheit stellt der Artikel heraus: 

„Sie haben die Eisbedeckung auf der Basis von Tageswerten ermittelt, berichten sie im Fachjournal »Nature Communications« . Bisher sei immer mit Monatsdurchschnittswerten gerechnet worden.“ 

Ergibt das ein völlig anderes Bild seit den 90er Jahren? Hier die tageweise Betrachtung des Minimums im September: 



Da ist praktisch kein Unterschied, 2012 bleibt auch hier das eisärmste Jahr, seitdem ist da ein nahe-Null-Trend. Sehr wahrscheinlich ist eine Eigenheit am Werke, mit der es Modelle bekanntermaßen sehr, sehr schwer haben: die interne Variabilität des Klimas. Sie erzeugte mit hoher Sicherheit den Einbruch nach den frühen 2000ern und das Verharren danach. Klimamodelle sind hier also kein gutes Instrument der Vorhersage. Ein Blick in das Instrumentarium der Arbeit infrage verrät, dass die Autoren trotzdem mehrere Modelle für den 6. Sachstandsbericht des IPCC (CMIP6) verwendeten als Grundlage ihrer “Ergebnisse”.  
 
Sie stellten Kriterien auf für ihre Modellauswahl (es gibt über 42 CMIP6-Modelle) und sie benutzten am Ende hauptsächlich vier davon. Jedes Modell hat eine andere „Equilibrium Climate Sensitivity“ (ECS), die Größe beschreibt ihre Empfindlichkeit auf CO2-Antrieb. Sie ist ein Ergebnis ihrer komplexen Algorithmen. Sie kann sehr unterschiedlich hoch sein, aus welchem Grund auch immer.  
Sie wird ermittelt durch einen Modellversuch: Man verdopple schlagartig den CO2-Gehalt der Atmosphäre und halte ihn dann konstant, lasse die Modelle unter diesen Bedingungen viele Modell-Jahrhunderte lang rechnen und bestimme dann die globale Mitteltemperatur.  
Das Maß der Steigerung ergibt die Größe x K/2*CO2, also x K pro CO2-Verdopplung. Der AR6 des IPCC grenzt den Bereich auf 2,4…4K/2*CO2 ein, der wahrscheinlichste Wert läge bei 3K. Es gibt neuere Literatur, die sogar etwas niedrigere Werte annimmt. Wir wollen es jedoch so hinnehmen.  
Ein Blick auf die verwendeten Modelle verrät: die weisen einen Mittelwert von über 4,4K/2*CO2 aus! 

Das ist weit über dem wahrscheinlichsten Wert des IPCC AR6 für die reale Welt von 3! Nicht mal den oberen Rand halten diese Modelle ein, die Spitze bei den benutzten wird vom kanadischen Modell markiert, dessen Wert liegt bei über astronomischen 5,6K/2*CO2.  
Es wird daher bei allen seriösen Modellarbeiten ausgeklammert, wenn „real World“ Aussagen über die Erwärmung gemacht werden sollen. Was die Autoren der Arbeit infrage nicht daran hindert, es zu benutzen und noch zwei weitere mit über 4,3K/2*CO2, also auch wärmer „laufend“ als der obere Wahrscheinlichkeitsrand des IPCC. Sie simulieren damit eine Erwärmung, die so nicht real bei Weitem erwartet wird. Das führt dann auch zu dem frühen „eisfrei“ im Jahre 2027.   

So etwas ist unseriös! Das hätte eigentlich schon das Peer Review der Arbeit ergeben sollen, damit wären ihre Ergebnisse wenigstens nur in einem engen Kreis Wissenschaftler diskutiert worden.  
 
Dass nun bestimmte Massenmedien wie der „Spiegel“ (natürlich) da eine Schlagzeile draus machen, ist viel schlimmer: Die Leute werden sich in 2027 daran erinnern, drei Jahre sind eine kurze Zeit, und sie werden mit hoher Sicherheit nichts von “eisfrei” in der Arktis bemerken.  
Und man wird dann ein weiteres Mal folgern: „Alles Quatsch mit dem Klima!“ Und das stimmt so auch nicht.  

Dieser „Alarmismus“ (englisch “Doomism”) ist nicht nur Nonsens, er ist auch schädlich.             

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