Von Dr. Ernst-Jürgen Niemann
Der aktuelle Strommarkt kann aus der nachfolgenden Abbildung gut analysiert werden. Die dargestellte Periode vom 6.05. bis 16.05.2024 enthält Zeiten mit wenig und hohem Windanteil sowie mit mittlerem und hohem Solaranteil. Dargestellt sind Netzlast, Erzeugung, Im- und Export sowie die Großhandels-preise für den Markt Deutschland/Luxemburg.
Stromverbrauch, Erzeugung, Stromexport und Großhandelspreis (Quelle: SMARD.de, Bundesnetzagentur)
Es sind folgende Muster erkennbar:
A. Wenig Wind und mittlere PV Erzeugung (Periode 6.-8.05.2024):
- Großhandelspreis schwankt zwischen 8 und 15 ct/KWh
- Kontinuierlicher Stromimport in der Größenordnung von 15 % des Lastbedarfs
B. Wenig Wind und hohe PV-Erzeugung (Periode 9.05. – 11.05.2024):
- Überwiegend Stromimport nachts (ca. 15 % vom Lastbedarf) zu Großhandelspreisen von 8 bis 18 ct/KWh gegenüber geringem Export mittags bei hoher PV Einspeisung bei Großhandelspreisen von 0 bis -4 ct/kWh
C. Viel Wind und hohe PV Erzeugung (Periode 12.05.-16.05.2024):
- Sehr hohe Schwankung der Großhandelspreise bis zu -13,5 ct/KWh (mittags) und 15 ct/KWh (später Abend)
- Stromexportspitzen mittags zu negativen Großhandelspreisen von bis zu -13,5 ct/KWh und Import von ca.5 % des Netzbedarfs zu Preisen von 5 bis 15 Ct/KWh.
- Der Kurvenverlauf zeigt Windkraftdellen, sobald PV in das Netz einschießt, was darauf hindeutet, dass ein Teil der Windkraftanlagen zur Netzregelung abgeschaltet werden muss (Konkurrierende Erzeugung Solar und Wind).
Pumpspeicherwerke, deren Planungszweck die Deckung von Lastspitzen und der Ausgleich von unplan-mäßigen Netzschwankungen sowie als Notaggregate für den Fall von Havarien war, werden heute regelmäßig genutzt und in der Regel 2 x am Tag gefüllt (Nachts bei niedriger Last; Mittags bei hohem Solaranteil) und bei höherer Last morgens und abends zur Erzeugung genutzt. Wie bei diesem Regelbetrieb ihre Funktion als Sicherheitsreserve gewährleistet wird, erklärt sich nicht. In jeden Fall unterliegen die Pumpspeicherwerke durch den Dauerbetrieb (ständiger Wechsel von Pumpen & Stromerzeugung) höherem Verschleiß und höherem Wartungsaufwand.
In Stunden von hohem PV Anteil, insbesondere in Verbindung mit viel Windkraft, entsteht im Netz eine Übereinspeisung, so dass aus Gründen der Netzstabilität Strom exportiert werden muss. Da diese Exportnotwendigkeit zu Zeiten niedriger Nachfrage im Ausland erfolgt, muss dieser Stromexport teuer bezahlt werden. Die „Entsorgung“ zu Niedrigstpreisen von häufig weniger als 0 ct/KWh bis hin zu -13,5 ct/KWh (12.05.24; 12.00-13.00) muss teuer bezahlt werden. Verbraucher im Ausland werden für die Stromabnahme bezahlt. Ein bekanntes Beispiel ist, dass in Österreich mit Pumpspeicherwerken damit doppelt verdient wird. Zum einen verdienen sie an der Stromabnahme, die zum Hochpumpen benutzt wird, zum anderen kann dann der Pumpspeicherstrom in Stunden erhöhter Nachfrage nach Deutschland zu Höchstpreisen exportiert werden.
Die Abbildung zeigt, dass es starke Verwerfungen im Deutschen Strommarkt gibt, die vor allem durch nicht regelbare PV Einspeisung von Anlagen <100 kW entsteht. Der politisch gewollte weitere Ausbau mit nicht regelbarer Erzeugung sollte zu weiteren Verwerfungen und noch höheren Kosten führen. Die Differenzen zwischen Marktpreis und Garantiertem Preis werden durch die EEG-Umlage ausgeglichen, die jüngst vom Steuerzahler übernommen worden ist. Der für 2024 budgetierte Betrag von 10,6 Mrd. EUR ist viel zu niedrig angesetzt. Derzeit wird von 19 Mrd. EUR ausgegangen. Auf die Erzeugung der subventionierten Energieträger (Windkraft, Solar und Biogas) in 2023 von 221 Mrd. KWh umgelegt, entspricht das einer Subvention von ca. 9 ct/KWh aus Biogas, PV und Windkraft, mit steigender Tendenz bei zunehmendem Ausbau.
Aussagen der Regierungspolitik
Strompreise sind zurückgegangen
Die allgemeine Sprachregelung der Regierung ist, dass ihre Energiepolitik zu niedrigeren Strompreisen geführt hat. Das ist formal richtig, wenn man die Börsenpreise betrachtet, die ja teilweise sogar negative Preise sind. Seriöser wäre es aber, wenn man auch auf die immer höheren Stromgestehungskosten der Erneuerbaren hingewiesen hätte. Bei onshore Wind liegen wir heute etwa bei Kosten von 7,35 ct/KWh (Referenzstandort) + 9 ct/KWh Garantiepreissubvention aus Steuermitteln + 4 – 6 ct/KWh (Netzausbau und Netzstabilisierungs -bzw. Netzregelkosten aufgrund volatiler Erzeugung), also Erzeugungskosten von etwa 21 ct/KWh, die dem Onshore Windstrom zugerechnet werden müssen.
In Bayern wird der Windkraftausbau behindert
Von den Fürsprechern der Windenergie wird immer wieder auf die Bayern gezeigt, die unter Markus Söder (CSU) den Windkraftausbau behindern. Das ist m.E. sachlich nicht begründet. Es sind vielmehr die durch die Regierung selbst definierten Bedingungen, die Investitionen in windreichen norddeutschen Gebieten gegenüber den windschwachen Gebieten Süddeutschlands begünstigt.
- Nicht nur in Bayern, sondern auch in Baden-Württemberg (Grüne Regierung) wurden in 2024 bisher kaum Windkraftanlagen errichtet. Der Grund für geringe Investitionen ist also nicht die politische Couleur, sondern das geringere Windkraftpotential in Verbindung mit der aktuellen Gesetzeslage.
- Das Marktprämienmodell des Erneuerbare-Energien Gesetzes (EEG) garantiert eine standort-spezifisch angepasste garantierte Vergütung (Anzulegender Wert), die sich aus dem im Wettbewerb erzielten Zuschlagswert ergibt. Überschreitet der Börsenpreis diese garantierte Vergütung, so verbleiben die zusätzlichen Erlöse beim Investor/Anlagenbetreiber:
Fiktives realitätsnahes Beispiel für Zusatzgewinne an windreichen Standorten im Norden:
*) Beispiel zum besseren Verständnis,13.05.2024, Stunde 20:00-21:00: Börsenpreis 0,139 €/kWh; 1 MW installiert, bei durchschnittlicher Erzeugung:
- Zusätzl. Einnahmen Norddeutschl.: 0,35 * (0,139 €/KWh-0,055 €/KWh) *1000 KW = 29,4 € /h
- Zusätzl.Einnahmen Süddeutschl.: 0,2 * (0,139 €/KWh-0,0,095 €/KWh) * 1000 KW = 8,8 € /h
Die obige Näherungsbetrachtung verdeutlicht, dass an einem windreichen Standort über die Garantiepreise hinaus wesentlich höhere Zusatzgewinne erzielt werden können (Größenord-nung 84.000 € pro MW und Jahr bzw. 300.000 €/a für eine marktübliche 3,5 MW Anlage). Es ist also nur logisch, dass Investoren lieber im windreichen Norden investieren. Abhilfe würde eine Änderung des EEG bringen, indem, wie in vielen Ländern üblich, „Contracts for Differences (CFD)“ eingeführt werden, bei denen die Zusatzgewinne vom Staat abgeschöpft werden. Dagegen gibt es allerdings erheblichen Widerstand der Windenergielobby.
Handlungsbedarf
- Das politisch gewollte, räumlich nicht kontrollierte Wachstum von nicht regelbaren PV Anlagen müsste umgehend gestoppt werden, um die Verwerfungen auf dem Strom-markt nicht weiter zu fördern.
- Der Ausbau der Stromerzeugung muss räumlich und zeitlich detaillierter geplant werden, unter Berücksichtigung von Technische Machbarkeit, Wirtschaftlichkeit und Realisierbarkeit innerhalb des Planungszeitraums. Die gegenwärtige dominierenden wunschgesteuerte Politik führt in eine Sackgasse mit hohen Kosten, Risiken und Funktionsengpässen. Einen hohen Stellenwert muss die Netzsicherheit bekommen, insbesondere die Sicherheit der Steuerung und die Schwarzstartfähigkeit des Netzes. Eine internetbasierte Steuerung vieler kleiner Erzeugungs- und Speichereinheiten bürgt hohe Risiken von unautorisierten Eingriffen, die durch ein ausgeklügeltes Sicherheitskonzept beherrscht werden müssen. Die Regierung muss nach dem Prinzip „Politik ist die Kunst des Machbaren“ agieren und nicht utopische Ziele und Rahmenplanungen vorgeben, an die sich die Realität anpassen soll. Das verbreitete Motto „Die deutschen Ingenieure werden es schon richten“ ist durch physikalische Grenzen und wirtschaftliche Randbedingungen begrenzt und zeugt eher von Mangel an Ingenieursachverstand in der Regierung.
- Die Regierung sollte sich nicht über den zögerlichen Windkraftausbaus in Bayern beklagen, da die Ursache in ihrer EE Gesetzgebung liegt, die wirtschaftliche Nachteile für Standorte im windschwachen Süden gegenüber dem windreichen Norden impliziert. Die Einführung von „Contracts for Differences“ im EEG, wie in anderen Ländern üblich, durch die über die Garantiepreise hinausgehende Gewinne vom Staat abgeschöpfte werden, wäre zur Abhilfe notwendig, ist aber voraussichtlich nicht gegen die Wind-industrie durchsetzbar. Im Übrigen sollte man überdenken, ob der relativ teure Wind-strom im Süden überhaupt volkswirtschaftlich sinnvoll ist.
- Der Wirtschaftsminister sollte frühzeitig erklären, woher er die fehlenden 8,5 Mrd. € zur Subvention der garantierten EE Vergütungen nehmen will. Angesichts der Haushaltslage ist es wahrscheinlich, dass die EEG-Umlage wieder eingeführt werden muss. Diese würde dann den Strompreis für nicht privilegierte Verbraucher (z.B. Haushalte) um etwa 5 bis 7 ct/kWh erhöhen. Je später das Haushaltsloch ausgeglichen wird, desto höher wird voraussichtlich die EEG-Umlage ausfallen.