Das Meereis bis März 2024

Von Frank Bosse

Es wurde nicht sehr viel darüber berichtet: Im März 2024 erreichte das Arktische Meereis eine Ausdehnung („Extent“) von 14,87 Mio km² und das ist der höchste Wert seit 2013. Wie kann das sein, wenn doch eine Arbeit im letzten Jahr das völlige Verschwinden des Sommereises in der Arktis möglicherweise schon 2035 vorher sah mit dem entsprechendem Medienrummel? Die Arbeit hatte große methodische Schwächen und hätte so nicht publiziert werden sollen, u. a. benutzten die Autoren das „Multi Model Mean“ der CMIP6-Modelle. Darin sind auch bekanntermaßen viel zu warme Modelle enthalten. Ausführlich wurde die Arbeit hier besprochen.
Hier die Fakten des März 2024, in diesem Monat finden wir das Maximum der Eisausdehnung  in der Arktis und das Minimum in der Antarktis. Letztere hatte besonders im Sommer 2023 von sich reden gemacht, da das Maximum da viel kleiner ausfiel als in Vorjahren. Hier ein Blick auf beide Maximum-Datenreihen: 

Es fällt auf, dass die maximale Eisausdehnung der Antarktis (im September) deutlich höher ausfällt und keinen Langzeittrend aufweist, im Unterschied zur Arktis im März. Das liegt an der geographischen Lage: Die Arktis besteht aus einem Meer, in großen Teilen von Land umgeben, in der Antarktis ist es genau umgekehrt. Daher gibt es im globalen Norden eine natürliche Begrenzung der Eisausdehnung, im Süden nicht. Dort stößt das Eis also in viel weiter vom Pol entfernte Regionen vor mit großen Wirkungen der Variabilität der Meerestemperaturen wie im vergangenen Jahr. Dazu im Vergleich das Minimum:

Es findet jeweils im September (Arktis) und im März (Antarktis) statt. Auch hier ist kein Langzeittrend in der Antarktis zu verzeichnen, in der Arktis sehr wohl. Dort ist zu sehen, dass zwischen 2005 und 2012 die Werte vom linearen Trend stark nach unten abwichen. Sehr wahrscheinlich waren das Einflüsse der internen Variabilität, nicht so sehr der Klimawandel, der den Langzeittrend bestimmt. Interessant ist es auch zu schauen, wieviel Eis in der arktischen Schmelzsaison (März-September) jeweils verloren geht:

Hier ist sehr gut eine plötzliche Änderung („Step Change“) dieses Betrages zu sehen, er fand im Jahre 2007 statt. Seitdem ist der Verlust der Ausdehnung im Mittel über das Jahr ca. 1 Mio. km² größer als vorher, jedoch seitdem auch bisher stabil. Wie kommt das alles? Warum sehen wir den Klimawandel deutlich am Trend in der Arktis und nicht in der Antarktis und warum ist auch im Norden die Lage seit 2012 nicht dramatischer geworden, wo es doch in den 12 Jahren seitdem auch global wärmer wurde?

Zunächst zur Antarktis: Sie ist von einer umschließenden („zirkumpolar“) Wasserströmung umgeben, die sie von vielen Klimaeinflüssen gewissermaßen abschirmt. Daher sehen wir beim Meereis da den Erwärmungstrend hin zu weniger Eis bisher nicht. In der Arktis wirkt offensichtlich etwas stabilisierend, was man zunächst nicht vermutete als man vor allen der Theorie des „Eis Albedo Feedbacks“ nachhing. Die besagt: Wenn es weniger Eis gibt und stattdessen Wasser, wird auch weniger Sonnenlicht reflektiert (Eis ist deutlich heller als offenes Wasser) und das Wasser wärmt sich noch mehr auf, was noch weniger Eis zur Folge hat. Die Idee der „Todesspirale“ war geboren und doch beruhte sie auf einem Irrtum. Es wirkt nämlich ein mächtiges Feedback dagegen: Dünnes Eis wächst im Winter schneller als dickes Eis. Da in der Arktis im Winter praktisch keine Sonneneinstrahlung zu verzeichnen ist, wird es sehr kalt von oben über dem Eis (ca. -25°C) und dickeres Eis isoliert dagegen viel besser als dünneres Eis. Ergebnis: Je weniger Eisvolumen im Sommer, desto mehr Eis kommt auch hinzu im Winter:

Das sind die Beobachtungen der Verhältnisse seit 1980, der negative Trend ist eindeutig und hoch signifikant.

Wann immer Sie, liebe Leser, also etwas von „positiven Feedbacks“ lesen der hören: es gibt immer entgegenwirkende Kräfte, die das Verhalten des Gesamtklimasystems dämpfen. Sonst wären wir nicht da, die Frage nach Feedbacks zu stellen bei der langen und bewegten Klimageschichte des Planeten.

Bleibt die Frage: Wann könnte die sommerliche Arktis eisfrei werden, wenn der Klimawandel so anhält wie erwartet?
Es ist inzwischen unbestritten, dass wir mit der globalen Entwicklung der Emissionen auf einem Weg sind, der bis 2100 einen zusätzlichen Strahlungsantrieb von ca. 4,5 W/m² erreichen wird (SSP2-4.5 oder RCP 4.5) , gegenwärtig sind wir bei 3 W/m². Dann könnte es mit der bisher beobachten (großen) Variabilität unabhängig davon nach 2060 einzelne Sommer geben, in denen unter 1 Mio. km² Eisausdehnung des arktischen Meereises festgestellt werden müsste. Auch das ist mit Vorsicht zu genießen (wie alle Prognosen, wenn sie die Zukunft betreffen) denn alles ist wohl am Ende komplexer als noch vor wenigen Jahren gedacht, als man so einen „Blue Ocean Event“ schon vor 2020 für möglich hielt. Weil sich echte Wissenschaft gottlob „empor irrt“ und es „die Wissenschaft“ so nicht gibt. Wenn es neue Entwicklungen gibt, werden Sie natürlich auf dem Laufenden gehalten.

Teilen: