Neue Panikmache um die atlantische Zirkulation

Von Fritz Vahrenholt und Frank Bosse

Wir haben hier häufig über die AMO (Atlantische Multidekadische Oszillation) und die AMOC (Atlantic Meridional Overturning Oscillation, atlantische Umwälz-Zirkulation) berichtet. Die AMO ist eine im etwa 60- jährigen Zyklus sich vollziehende Erwärmung und Abkühlung des atlantischen Ozeans vor allem an der Oberfläche, dessen Warmphase bald sein Ende finden sollte.

Durch die AMOC werden dagegen warme Wassermassen auch in der Tiefe nach Norden transportiert, die in hohen Breiten absinken.

In der Klimawissenschaft wird seit langem über eine Abschwächung dieses Nordatlantikstroms diskutiert. Nun machen Prof. Stefan Rahmstorf und ein Aufsatz über die AMOC in „Nature Communications“, im Folgenden DD23, Furor.  Stefan Rahmstorf veröffentlichte einen „Spiegel“- Kommentar, indem er ausführt: „Zusammengenommen zeigen die neueren Studien, dass der Kipppunkt wahrscheinlich deutlich näher ist als bislang gedacht…“. Das wäre nur richtig, wenn sie voneinander unabhängige Untersuchungen beinhalten. Ist das so? Wie kommt DD23 zu ihren Schlussfolgerungen eines „Kipppunkt-Kollapses“, zusammengefasst in diesem Satz des Aufsatzes:

„The critical time tc is 2057, and the 95% confidence interval is 2025–2095.”?

Auf das Jahr genau (2057) soll also der wahrscheinlichste Wert bekannt sein, mit 95% Sicherheit 2025 bis 2095 kollabiert die AMOC. Das ist doch mal eine genaue Ansage! DD23 untersucht mit statistischen Methoden der Varianzanalyse diese Zeitreihe:

Abb.1: Der „AMOC -Fingerprint“, eine Reproduktion von Fig. 1e aus DD (2023). Die Zeitreihe entsteht, indem von den Meeresoberflächentemperaturen (SST) des „Subpolaren Gyre“ die globalen Mitteltemperaturen mal zwei subtrahiert werden.  Alles weitere in DD23 wird von dieser Zeitreihe abgeleitet, wie die Autoren selbst schreiben: „This is the basis for the analysis.“

Mit Anwendung zwar valider Methoden der Statistik kommt DD23 zu weitreichenden Schlussfolgerungen, etwa:

“…this is indeed a worrisome result, which should call for fast and effective measures to reduce global greenhouse gas emissions in order to avoid the steady change of the control parameter toward the collapse of the AMOC.”

Diesmal erschienen in den Medien auch kritische Stimmen zu den Ergebnissen in DD23. So werden in Meldungen u.a. Jochem Marotzke (MPI-M) zitiert:“ Ähnlich methodenkritisch äußert sich Jochem Marotzke, Direktor der Forschungsabteilung Ozean im Erdsystem vom Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg: Auch er hält die methodische Annahme für unangemessen, aus den Veränderungen eines Parameters – der Meerestemperatur – auf die plötzliche Veränderung des gesamten Systems zu schließen.“ In der „Welt“ geht er noch weiter:

„Ich wundere mich, dass die Studie die Begutachtung überstand und so publiziert werden konnte.“

Was brachte Jochem Marotzke derart auf die Palme? Wohl nicht das „Handwerk“ in DD23, es muss der Ausgangspunkt (vgl. Abb.1) sein. Die SST des „Warming Hole“ spielen da eine entscheidende Rolle.

Abb.2: Die globalen Temperaturen und ihre Änderung 1951…1980 bis 2010…2022 nach GISS. Das Gebiet mit fehlender Erwärmung im Nordatlantik („Warming Hole“) ist klar als heller Fleck auszumachen. Quelle.

Von diesen SST werden in DD23 die mit 2 multiplizierten Anomalien der globalen Temperaturen (die sich sehr wohl erhöht haben, vgl. Abb.2) subtrahiert und das sei nun der „Fingerprint“. Das ist in der wissenschaftlichen Literatur sehr umstritten. So findet diese Arbeit aus 2022, dass die SST-Eigentümlichkeit im Nordatlantik OHNE jede Beteiligung der AMOC, vor allem durch Windeinflüsse unter der globalen Erwärmung entstehen kann. Nix da mit „AMOC-Fingerprint“. In einem Review zum Thema AMOC aus 2022 betonen die Autoren die hohe Unsicherheit der Erkenntnislage:

Although a long-term weakening of AMOC has previously been suggested, there is no evidence for such changes in the subpolar or subtropical AMOC from 1980 to the present day, in agreement with modelling results.”

Woher nehmen die Autoren von DD23 dann die Sicherheit ihrer Aussage? Sie übernehmen ohne jede kritische Würdigung die „Fingerprint- Methode“ aus einer Arbeit von 2018. Caesar/Rahmstorf et al. (2018) erlangte einige Bekanntheit, wurde jedoch immer auch kritisch in der Fachwelt gesehen. Zuletzt setzten sich Kilbourne et al (2022) mit einer „Fortsetzung“ von Caesar et al. aus dem Jahre 2021  auseinander, in der nachgewiesen sein sollte, dass die AMOC gegenwärtig so schwach sei wie noch nie in diesem Jahrtausend. KIlbourne et al. zeigte auf: Cherrypicking bei der Auswahl der Indikatoren (Proxies).

Was also DD23 leisteten, war die statistische Behandlung einer Zeitreihe, deren Relevanz für die AMOC selbst absolut nicht erwiesen ist. Nun kann auch der Applaus von Prof. Stefan Rahmstorf für DD23 nicht mehr überraschen: Es sind seine und seiner Co-Autoren eigenen Annahmen, die da „nur“ durchgerechnet wurden. Diese sind jedoch umstritten wie nur irgendetwas in der Wissenschaft.

Dass viele Medien mit dem „Golfstrom“ operieren als Synonym für die AMOC ist ein weiteres Übel, denn der Golfstrom selbst ist windgetrieben und kann nicht versiegen, „solange die Erde sich dreht und der Wind weht“, wie der bekannte Ozeanologe Carl Wunsch schon 2004 feststellte. Das bleibt wahr, auch wenn Prof. Rahmstorf nicht müde wird, den Science- Fiction Plot eines Klassikers heranzuziehen, wie in seinem letzten „Spiegel-Kommentar“, wenn er schreibt: “Filmfans ist das Szenario dank Roland Emmerichs Blockbuster »The Day After Tomorrow« aus dem Jahr 2004 bekannt.“ 

Die Frage aus der Einleitung nach der Unabhängigkeit der Untersuchungen ist auch beantwortet. Prof. Rahmstorf unterlässt es in seinem Kommentar zu erwähnen, dass DD23 seine eigenen Thesen verwendet. Ein Zirkelschluss, der gar nichts bestätigt. Er ist offensichtlich bemüht, der Öffentlichkeit zu suggerieren, dass er keine Außenseiterthese vertritt, sondern zunehmend weitere Forscher zu solchen Schlüssen kommen. Das ist jedoch völlig falsch.    

Summa summarum: Bei DD23 handelt es sich um eine Fingerübung in Statistik, von jedem Nachweis der physischen Bedeutung für die AMOC selbst sehr weit entfernt. Die Schlussfolgerungen darin werden durch den Inhalt der Arbeit nicht gestützt.

Nature Communications fällt häufiger dadurch auf, dass dort veröffentlichte Studien den Anforderungen an Wissenschaft kaum genügen. Erst im Juni 2023 fand sich da eine Arbeit, die mit angeblich hoher Konfidenz das Verschwinden des arktischen Sommereises schon in den 2030er Jahren prognostizierte, egal ob wir viel oder wenig CO2 emittieren. Einer kritischen Würdigung hielt auch sie nicht stand.

Vielleicht sorgt das Stirnrunzeln in der Fachwelt (vgl. Marotzke oben) über DD23 endlich dafür, dass der Review-Prozess da kritisch hinterfragt wird. An der Zeit wäre es. Die steilen Thesen in einigen Arbeiten verunsichern die Öffentlichkeit und die Medien völlig überflüssig und schaffen am Ende nur ein Klima des Misstrauens gegen jede Wissenschaft. Das ist nicht gut.

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