Der CO2-Gehalt, der pH-Wert und das Massenwirkungsgesetz

von Hans-Rolf Dübal und Fritz Vahrenholt

In der Klimadiskussion werden der anthropogenen Emission von CO2 zwei Wirkungen zugeschrieben: erstens ein Beitrag zur globalen Erwärmung und zweitens die Absenkung der ozeanischen pH-Werte an der Meeresoberfläche. In einem kürzlich veröffentlichten Fachartikel (https://www.peertechzpublications.com/articles/AMS-7-136.pdf) haben sich die Autoren mit dieser Thematik auseinandergesetzt.

Die Frage, ob die fossilen CO2 Emissionen von derzeit ca. 10 Gt C pro Jahr (=36.4 Gt CO2/a) sich zum Teil ewig, mindestens aber über sehr lange Zeiträume, also Jahrhunderte oder Jahrtausende in der Atmosphäre ansammeln könnten, ist ein sehr wichtiger Aspekt in der Klimadiskussion. Denn davon hängt die Wirksamkeit, insbesondere die Eilbedürftigkeit von Emissionssenkungen entscheidend ab. Es stellt sich die Frage nach der Reversibilität. Eine Ansammlung auf ewig wäre irreversibel, aber das kontinuierliche Anstreben eines Gleichgewichtes zwischen Quellen und Senken wäre reversibel und würde einen stärkeren natürlichen -und zugleich dämpfenden- Einfluss begründen. Die beiden größten CO2-Senken sind die Ozeane und die Biosphäre. Insgesamt betragen heute diese beiden Senkenflüsse zusammen ca. 6 Gt C pro Jahr (entsprechend 22 Gt CO2/a), also gut die Hälfte der anthropogenen Emission.

Die Erhöhung der CO2 Konzentration in der Atmosphäre hat in den letzten Jahrzehnten stark zur Begrünung der Welt beigetragen und dabei wurde über die Fotosynthese viel CO2 aufgenommen. Das war nicht immer so. Der größte Teil des 20. Jahrhunderts war in der Summe durch eine geringe CO2-Abgabe gekennzeichnet, was immer der Fall ist, wenn mehr Biomasse verbrannt oder abgebaut wird, als neu entsteht.

Die Ozeane waren dagegen zumindest seit Mitte des 19ten Jahrhunderts stets eine starke CO2-Senke, bedingt durch die Reaktion des Säureanhydrids CO2 mit Wasser unter Bildung eines im Meerwasser gelösten Carbonat- und Bicarbonat-Gleichgewichtes. Bedingt durch physikalisch-chemische Gesetzmäßigkeiten, insbesondere durch das Massenwirkungsgesetz, hängt die Aufnahme durch die Senken vom CO2-Angebot ab: maßgeblich sind also die 420 ppm CO2 in der Luft, aber keineswegs die Höhe der momentanen anthropogenen CO2 Emission. Weder die Flora noch das Meer können wissen, wieviel der Mensch gerade emittiert, sie spüren nur den Bestand. Schon diese einfache Überlegung führt zu dem Schluss, dass bei einer Halbierung der anthropogenen Emission zunächst praktisch alles von den Senken aufgenommen wird und der CO2-Gehalt daher gewissermaßen eine Zeit lang stehen bleibt.

Als ein zweites, mit dem anthropogenen CO2 verbundenes Problem wird die Absenkung der pH-Werte an der Meeresoberfläche gesehen. Es bildet sich an der Meeresoberfläche mehr Kohlensäure und der pH-Wert sank von ca. 8.2 vorindustriell auf etwa 8.05 heute. Diese Werte sind Mittelwerte, wie sie aus Meerwasserproben erhalten wurden. Es gibt ein laterales Profil: tendenziell besitzt tropisches Meerwasser etwas niedrigere und polares Wasser höhere pH-Werte. Aber auch vertikal gibt ein Profil: in tieferen Zonen sinkt der pH-Wert zunächst wegen des Absinkens und nachfolgenden Abbaus abgestorbener Algen und steigt dann in Richtung Meeresboden wieder etwas an. Das Meerwasser ist jedoch nie sauer, sondern stets alkalisch. Der oft verwendete Begriff „Versauerung“ ist daher missverständlich.

CO2- Gehalt und pH-Werte „ab initio“ berechnet 

Zu vorindustriellen Zeiten hatten Meer und Luft lange Zeiträume, um sich anzugleichen. Dabei wurde eine Art Gleichgewicht erhalten. Dieser Begriff ist in der Thermodynamik härter definiert, als er in der Klimatologie verwendet wird. Dort betrachtet man idealisierte Systeme, hier hat man gekoppelte Gleichgewichte, die den lokalen Unterschieden von Temperatur, Salinität usw. Rechnung tragen müssen. Am Ende erhält man dennoch auf der Basis der Zusammensatzung des Meerwassers, der Temperatur, des CO2-Gehaltes der Luft, der Volumenverhältnisse, der Massenbilanz und Ladungsneutralität ohne jeden freien Parameter, also nur durch Anwendung des Massenwirkungsgesetzes und des Henryschen Gesetzes die Werte pH =8.2 und 280 ppm CO2 für die vorindustrielle Zeit. Auf dieser Basis lässt sich errechnen, wie sich ein erhöhter CO2-Gehalt auswirkt.
Abb. 1 zeigt als Punkte die gemittelten Messwerte des pH und des CO2-Gehaltes von 1985-2018, zusammen mit der Gleichgewichtsberechnung. Man erkennt deutlich eine Abweichung. Die realen Daten liegen sämtlich oberhalb der Gleichgewichtskurve. Verursacht wurde diese Abweichung von der anthropogenen CO2 Emission, die schneller erfolgte, als die natürlichen Senken sie verarbeiten konnten.

Abb. 1: Reale Daten (Punkte) verglichen mit der Gleichgewichtskurve für den Zeitraum 1985-2018. Die pH-Werte wurden dem Copernicus-Programm entnommen (https://www.eea.europa.eu/data-and-maps/daviz/yearly-mean-surface-sea-water-1#tab-chart_3), die CO2-Werte stammen aus: CO₂ and Greenhouse Gas Emissions – Our World in Data.

Die Relaxationszeit τ=52 Jahre

Abweichungen von einem Gleichgewicht, wie sie Abb. 1 offenbart, führen zu einer Erhöhung der freien Energie, gleichsam dem Auslenken einer Spiralfeder. Das System, hier bestehend aus Ozeanen und der Atmosphäre versucht daraufhin, in die Gleichgewichtslage zurück zu gelangen. Diese Relaxation benötigt eine gewisse Zeit und oft kann für diese Zeitabhängigkeit ein exponentielles Modell angewendet werden, das durch eine Relaxationszeit τ gekennzeichnet ist, entsprechend einer Halbwertszeit t½=τ ln2 ≈ 0.69 τ. Das Rechenverfahren ist in der Originalarbeit beschrieben.

Die Abb. 2 zeigt nun die berechneten und aktuellen Werte der CO2-Konzentration in ppm und des pH-Wertes der letzten 170 Jahre. Dabei wird nur ein einziger freier Parameter angepasst, nämlich τ= 52 Jahre (t½=36 Jahre), um beide Größen zu modellieren. In dieser Abbildung zeigt sich auch die Spiegelbildlichkeit von pH und [CO2].

Abb. 2: Ergebnis der Modellrechnung mit τ= 52 Jahre. Die durchgezogenen Linien sind die berechneten Werte. Die diskreten Punkte sind empirische bzw. Literaturwerte.

Dass diese Relaxationszeit beide Größen, pH und [CO2], gleichzeitig und unabhängig vom Analysezeitraum optimiert, erkennt man in der Genauigkeitsanalyse, Abb. 3. Das Optimum von τ liegt zwischen 40-60 Jahren.

Abb. 3: Ergebnis der Fehlerbetrachtung:  τ= 52±10 Jahre bzw. t½=36±7 Jahre.

Extrapolation bis zum Ende dieses Jahrhunderts

Mit dem so aus den Jahren 1850-2020 bestimmten Wert von τ können nun für ein beliebiges vorgegebenes Emissionsszenario die zukünftigen Werte für den pH und die CO2 Konzentration berechnet werden. Dies ist in Abb. 4-6 dargestellt. Die betrachteten Emissionsszenarien sind hier:

A)       RCP 6.0

B)       RCP 4.5

C)       Sofortige (d.h. bis 2030) weltweite Beendigung der CO2-Emission

D)       Weiter wie bisher: konstante Fortschreibung der Emissionen

E)       Absenkung der Emissionen auf 50% des heutigen Wertes bis 2040, danach konstant weiter

Abb. 4: Betrachtete Emissionsszenarien (1 Gt C = 1 Pg C = 3.64 Gt CO2 pro Jahr)

Abb. 5: Die berechnete Entwicklung des pH-Wertes für die fünf Szenarien.

Abb. 6: Die berechnete Entwicklung der CO2 – Konzentration für die fünf Szenarien

Bezug zur Klimadiskussion

Die Anreicherung des CO2 in der Atmosphäre und der damit verbundene Einfluss auf die globale Temperatur sowie auf den pH-Wert der Meeresoberfläche kommen zum Stillstand, wenn man die anthropogene Emission auf etwa die Hälfte zurückfährt. Dann erreicht man einen „steady state“, in dem sich Emission und Absorption die Waage halten. Die eingangs gemachte Überlegung wird durch das beschriebene Modell quantitativ bestätigt.

Aber warum hat sich in der Klimadiskussion die Behauptung, dass sich ein Teil der fossilen Emissionen sehr langfristig bzw. sogar bis in alle Ewigkeit in der Atmosphäre ansammeln würde, so sehr festgesetzt? Mit diesem Argument wird eine Eilbedürftigkeit von Maßnahmen begründet, denn jedes weitere Jahr führt zur irreversiblen Anhäufung von CO2, die dann nie oder nur extrem langfristig wieder zu korrigieren wäre, im scharfen Gegensatz zu der hier gefundenen Reversibilität.
Um das zu verstehen, muss man sich mit dem sog. „Bern-Modell“ befassen, in dem mit Hilfe der sog. IRF („impulse response function“) diese hypothetische Ansammlung begründet wird. In seiner ursprünglichen Fassung besitzt dieses Modell vier Fraktionen und drei Relaxationszeiten, also insgesamt sieben (7) freie Parameter, die so gewählt sind, dass damit die ansteigende CO2-Konzentration erhalten wird. Konkret wird jede jährliche Emission in vier Fraktionen aufgeteilt, eine davon (ca. 22%) verbleibt ewig in der Atmosphäre, die anderen drei relaxieren mit Zeitkonstanten von ca. 400, 40 und 4 Jahren in die Senken. Mit diesem Ansatz lässt sich die zeitliche Entwicklung der CO2-Konzentration in der Atmosphäre gut beschreiben, wie in Abb.7 dargestellt.

Abb. 7: Vergleich des 7-Parameter „Bern-Modells“ nach Joos et. al. (2013) mit der vorliegenden Arbeit und den realen Daten der CO2-Konzentration (1 Parameter).

Abb. 7 zeigt einen Vergleich dieses 7-Parameter-Modells mit dem hier vorgestellten 1-Parameter-Ansatz. Es ist offensichtlich, dass sieben Parameter für diesen nahezu monotonen Kurvenverlauf arithmetisch überbestimmt sind. In keinem Fall kann damit die weitreichende Hypothese einer langfristigen Ansammlung von CO2 in der Atmosphäre begründet und aufrechterhalten werden.

Dies wiederum hat erhebliche Konsequenzen für die Klimadiskussion: das von uns derzeit emittierte CO2 ist temporär und nicht dauerhaft. Die Atmosphäre und die Meeresoberfläche können sich von einer zeitweisen Überladung innerhalb einiger Jahrzehnte spürbar und am Ende nahezu vollständig erholen. Diese Erkenntnis relativiert die Eilbedürftigkeit von Klimaschutzmaßnahmen und setzt diese in den Kontext anderer wichtiger Ziele. Sorgfalt und Effizienz erscheinen nun wichtiger als Geschwindigkeit.

Ähnlich gelagert ist die Diskussion eines „CO2-Restbudgets“. Gäbe es ein solches Budget, so müsste es unabhängig vom Emissionsweg sein, denn sonst wäre es kein Budget. Die vorangestellten Zusammenhänge zeigen aber das Gegenteil.   Dies kann man z.B. in Abb. 4-6 an einem Vergleich der Kurven B (RCP 4.5) und E (50%) erkennen. Beide pH und [CO2] konvergieren nach 2100 auf die Werte pH ≈ 8.00 und [CO2] ≈ 450 ppm. Jedoch ist die gesamte Emission (2020-2100)  im Fall B (RCP 4.5) = 667 Gt C und im Fall E (50%) = 424 Gt C. Man erreicht mit deutlich unterschiedlichen Gesamtemissionen nahezu denselben Punkt. Es besteht also ein erheblicher Spielraum, nicht nur das „wieviel?“ zählt, sondern auch das „in welcher Zeit?“.

Doch damit nicht genug: Von dem Zeitpunkt ab, an dem man den stationären Zustand erreicht hat, an dem nämlich CO2 Emission und Absorption sich die Waage halten, dabei eine Konstanz der Senkenleistung vorausgesetzt, könnte man beliebig lange CO2 emittieren, ohne dass sich der CO2 Volumenanteil in der Luft oder der pH-Wert der Meeresoberfläche weiter verändern. Dies gilt natürlich auch für den Beitrag von CO2 zur Lufttemperatur, unabhängig von seiner nicht genau bekannten Höhe. Hat man also diesen stationären Zustand erreicht, so wäre das CO2-Restbudget sogar beliebig hoch. Sollte die Biosphäre mangels Fläche, Boden, Dünger usw. irgendwann nicht mehr so stark wachsen wie zurzeit und damit seine Senkenleistung verringern, so bliebe immer noch ein erheblicher Spielraum übrig und damit ein um ein vielfach höheres „Restbudget“ erhalten.

Die Natur ist kein kameralistisches System, sondern dynamisch und flexibel. Die richtige Frage ist also nicht: “Wieviel CO2 darf ich noch emittieren?“, sondern: „Wie kann ich meine Spielräume nutzen, um Umweltschutz und Wohlstandsgewinne möglichst optimal in Einklang bringen?“ Und ferner: “Welche Technologien und Methoden kann ich einsetzen, um meine Spielräume zu erweitern?“. 

Das CO2 Budgetdenken basiert auf einem falschen (starren) Naturverständnis, das das Massenwirkungsgesetz ignoriert und führt zu unnötigen Verbots- und Verknappungsdiskussionen, die sich international ohnehin nicht durchsetzen lassen und daher wenig zielführend sind.

Die richtigen Fragen verlangen dagegen Kreativität, Innovation, Technologieoffenheit und das Ringen um den optimalen Weg, um die Vereinbarkeit von Klimaaspekten mit wirtschaftlichen, sozialen und Freiheitsaspekten. Dabei ist eine internationale, ausdrücklich nicht extreme, Lösung eine notwendige Bedingung. Der von Prof. Hans-Werner Sinn vorgeschlagene „Klimaklub“ der Länder mit hohen CO2-Emissionen wäre ein solcher Weg. Hierbei reicht ein Zurückfahren der Emissionen aus. Ein vollständiger Verzicht auf fossile Energieträger ist nicht erforderlich, solange man nichts Besseres hat.  Wir haben mit den Ozeanen und der Biosphäre mächtige Verbündete, die uns erhebliche, wenngleich nicht unbegrenzte Spielräume eröffnen. Sie nicht zu nutzen, wäre töricht.

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