Um das Klima zu retten, ist Netto-Null nicht nötig

Von Prof. Dr. Wolfgang Dreybrodt

Um das Klima zu retten, ist Netto-Null nicht nötig. Mit der Hälfte des heutigen CO2-Austoßes erreichen wir Klimaneutralität. Dies gibt genügend Zeit, die Wirtschaft auf Netto-Null umzubauen.

Bis 2045 sollen wir Netto-Null sein, also kein Ausstoß von CO2 aus nicht erneuerbarer Energie in die Atmosphäre. Nur so könnten wir das 1,5 °C Ziel erreichen und das Klima retten. Allerdings nur, wenn China, die USA, Russland, Indien, Brasilien und viele andere Länder mitziehen, denn Deutschland emittiert nur 2% des globalen CO2-Ausstoßes.

Aber ist dies wahr? Die Ozeane und das Land absorbieren die Hälfte des in die Atmosphäre global emittierten CO2, und das seit über 100 Jahren. Abb. 1 zeigt die Ergebnisse des Global Carbon Budgets 2021. Dies ist eine große Gruppe von angesehenen Wissenschaftlern, die jedes Jahr Quellen und Senken des CO2 weltweit feststellen. Ihre Arbeit wird vom Weltklimarat als wichtiger Beitrag aufgeführt. ESSD – Global Carbon Budget 2022 (copernicus.org)    Die obere Hälfte von Abb. 1 zeigt die Quellen im Verlauf der Zeit ab 1850. Der graue Bereich stellt das global emittierte CO2 dar, in Milliarden Tonnen pro Jahr. Man sieht den Anstieg vom Beginn der Industrialisierung. Der gelbe Teil zeigt den CO2--Ausstoß durch die Landnutzung. Im unteren Teil sind die Senken gezeigt, die Ozeane oben in dunkelblau, Land (Vegetation) in hellgrün und das in der Atmosphäre verbleibende CO2 in hellblau. Die Land- und Ozeansenke sind mit der Erhöhung der CO2-Konzentration in der Atmosphäre ständig gewachsen. Etwa die Hälfte des in die Atmosphäre entlassenen CO2 verschwindet im Ozean und in der Vegetation. Die andere Hälfte bleibt in der Atmosphäre. Nun hängt die Größe der Land- und Ozean-Senken nur von der aktuellen CO2-Konzentration in der Atmosphäre ab.

Wenn also der CO2-Austoß auf die Hälfte reduziert würde, dann würde diese Hälfte von den Senken aufgenommen werden und die CO2-Konzentration in der Luft bliebe unverändert. Diesen halben Ausstoß kann man lange beibehalten. Die Vorstellung eines endlichen Rest-Budgets ist deshalb falsch.

Eine einfache Erklärung als „Badewannen-Modell“ hat Prof. Ganteför auf YouTube gegeben. Die Atmosphäre ist wie eine sehr große Badewanne, die CO2 enthält. Zurzeit ist der Zufluss 40 Milliarden Tonnen/Jahr. Der Abfluss ist aktuell etwa 20 Milliarden Tonnen/Jahr durch Ozean und Vegetation (Bäume). Wenn der Zufluss größer als der Abfluss ist, steigt der Wasserspiegel (CO2-Gehalt). Ist er kleiner als der Abfluss, dann fällt er. Sind Zu- und Abfluss gleich dann, bleibt er stehen. 

Das heißt, wir können etwa die Hälfte des heutigen Ausstoßes beibehalten, dann bleibt die CO2-Konzentration in der Atmosphäre konstant unverändert. Die Vorstellung eines festen Rest-Budgets ist deshalb falsch. Mit dieser Klima-Neutralität gewinnen wir dann viel Zeit, um die Wirtschaft auf Null-Ausstoß umzustellen. Danach wäre aber der Zufluss Null und der CO2-Gehalt der Atmosphäre würde fallen und so auch die Temperatur. Nach etwa 100 Jahren würde die CO2-Konzentration vom aktuellen Wert 420 ppm auf 320 ppm fallen. Eine technische Extraktion von CO2 aus der Atmosphäre wäre nicht nötig.

In den Medien und in der Politik fand dies kaum Eingang. Aber der Weltklimarat gibt Professor. Ganteför im Bericht AR4 und AR6 durch Modellrechnungen recht. Dies ist allerdings dem langen Bericht nicht so leicht zu entnehmen. In dieser Arbeit soll es verständlich erklärt werden:

In Abbildung 2 sind vier SSP-Szenarien (ICCP-Shared Socioeconomic Pathways) des in der Zukunft emittierten CO2 gezeigt. Wenn wir so weiter machen wie bisher, steigt der Ausstoß steil an (oberste Kurve, SSP5.85). In SSP1.26 (grüne Kurve) sinkt er 2045 auf die Hälfte (untere horizontale, gestrichelte Linie) des heutigen Ausstoßes (obere horizontale, gestrichelte Linie) und erreicht 2075 Null. Im Szenario SSP2.45 (orange Linie) bleibt der Ausstoß von 2020 bis 2060 fast konstant. Er sinkt bis 2085 auf die Hälfte des heutigen Ausstoßes und erreicht im Jahr 2100   10 Milliarden Tonnen pro Jahr. Die blauen Pfeile zeigen diese Positionen der Klima-Neutralität. ­Die beiden oberen Kurven zeigen die Szenarien SSP3.70 mit stetigem Anstieg der CO2-Emission und SSP5.85, die den heutigen Emissionen entspricht. Diese führen zu nicht akzeptablen Anstieg von CO2 und Temperatur. Eine Beschreibung der SSP-Szenarien findet man im Deutschen Klimarechnungszentrum (DKRZ).

Abb. 3 zeigt die Entwicklung der CO2-Konzentrationen für die vier Szenarien in Abb. 2. Bei SSP1.26 (grün) steigt die Konzentration auf 480 ppm. Dieser Wert wird 2045 (Pfeil) erreicht, wenn der Ausstoß auf die Hälfte des heutigen Wertes abgefallen ist. Wenn der Ausstoß ab dann unverändert bliebe, würde auch die CO2-Konzentration konstant bei 480 ppm bleiben. Das 1,5 °C Ziel würde mit einer Temperatur-erhöhung von 1,8°C verfehlt (siehe Abb. 4).

Bei einer weiteren Reduktion der Emission in SSP126 fällt die CO2-Konzentration und dem entsprechend auch die Temperatur. Wir bleiben dann unter der 2°C-Grenze.  Für SSP2.45 findet man ein ähnliches Verhalten. Dort wird die Hälfte des heutigen Ausstoßes um 2085 erreicht und ebenso das Maximum von CO2 bei einer Temperaturerhöhung von 2,7°C. Bei ungebremstem Wachstum mit ständiger Erhöhung des CO2-Ausstoßes (SSP370 und SSP585) erhalten wir einen Anstieg der Temperatur um 4°C bzw. 5°C.

Trotz dieses komplexen Sachverhaltes hat sich in der öffentlichen Debatte ein anderes Bild durch-gesetzt. Danach müssen wir bis 2035 Klimaneutralität und bis 2045 Netto-Null-Emission erreichen. Tatsächlich findet man in AR6 ein ähnliches Szenario.  Der Pfad SSP1.9 in Abb. 5 (untere Kurve, hellblau) entspricht fast dem Pfad des Bundesklimaschutzgesetzes (schwarz gepunktet). Abb. 5-7 zeigen neben den bereits besprochenen Szenarien den Pfad SSP1.9 und entsprechend CO2 und Temperatur in Abb. 6 und 7 (untere hellblaue Kurve).

https://bildungsserver.hamburg.de/mittleres-klima-artikel-253786

„Fridays For Future“ fordert sogar den vollständigen Ausstieg aus allen fossilen Energien bis 2035 (magenta gestrichelte Linien, Abb. 5).  Wenn nicht, so „ Fridays For Future“, droht die Klima-Katastrophe. Diese von Klima-Aktivisten vertretene Auffassung, spielt in den Medien, der Politik, der Wirtschaft und der Justiz (BVertG) eine wichtige Rolle und hat Einfluss in der öffentlichen Meinung.  Sie wird unter Bezug auf den Weltklimarat als wissenschaftlicher Fakt dargestellt und gilt deshalb als unverhandelbar. Deshalb: “Folgt der Wissenschaft“!

Im Szenario SSP1.9 wird die CO2-Emission drastisch reduziert (Abb. 5) und ist 2035 auf die Hälfte von heute gefallen (Pfeil und gestrichelte Linie). Danach erfolgt eine weitere deutlich langsamere Reduktion auf Netto-Null in 2050. Wie auch in den Szenarien SSP2.6 und SSP4.5 erreicht die CO2-Konzentration ein Maximum um 2035 und fällt dann auf 370 ppm in 2100 (Abb. 6). Würde man ab 2035 den halben Ausstoß beibehalten, bliebe die Konzentration konstant bei 430 ppm. In SSP1.9 steigt die Temperatur um 1.5°C. (Abb. 7). Es ist allerdings sehr unwahrscheinlich, dass dieses Szenario global umgesetzt wird. Selbst wenn weltweit politischer Wille bestünde, so könnten technische Grenzen dies verhindern. Ein Alleingang könnte die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands gefährden. Deshalb sind die in SSP1.26 und in ähnlichen Szenarien möglichen Alternativen unbedingt in die Debatte mit einzubringen. Sie haben die gleiche wissenschaftliche Begründung wie SSP19 und dem entsprechend auch das Klimaschutzgesetz 2019.

FAZIT

Das Klimaschutzgesetz von 2019, in dem eine Reduktion des CO2-Ausstoßes bis 2035 auf die Hälfte des heutigen Wertes festgeschrieben wird, ist geeignet nach den Ergebnissen des IPPC (AR6), das 1,5°C-Ziel zu erreichen. Bei Beibehalten dieses Wertes bleiben Temperatur und CO2-Konzentration mit 1,5°C bzw. 430 ppm konstant. Ein Verschieben auf 2045 führt zu stabilen Werten von 1,7°C bei 460 ppm. Die Vorstellung eines endlichen Restbudgets ist falsch. Nach dem Erreichen des halben Ausstoßes bleibt bei konstantem weiterem Ausstoß genügend Zeit, das Wirtschaftssystem auf Null-Emission umzustellen. Falls dies gelingt, werden CO2 und entsprechend die Temperaturen bis 2100 wieder auf 1,3 bzw. 1,5°C fallen. Es besteht also begründete Hoffnung, dass der Klimawandel beherrschbar ist. Alarmismus ist nicht zielführend, sondern sachliche und         unaufgeregte Betrachtung der Fakten.

Bremen, Februar 2023            Prof. Dr. Wolfgang Dreybrodt

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