Der Blick vom Muppet-Balkon: Die beim „Great Reset“ auf der Strecke bleiben

Von Uli Weber

Grafiken gehen üblicherweise direkt ins Hirn, ohne irgendwelche Umwege über Plausibilitätsfilter. Schließlich steckt in ihnen die gesamte Kompetenz von sogenannten „Wissenschaftlern“, denen man, vielleicht schon bald per Gesetz, ganz einfach glauben muss. Demnächst bricht das Jahr 12 nach Ausrufung der „Großen Transformation“ (WBGU 2011) an. Am Anfang hatte man davon in den Medien noch gar nicht viel mitbekommen. Erstmalig wurde dieser Begriff dann beim VI. Petersberger Klimadialog am 19. Mai 2015 von Frau Dr. Merkel öffentlich als „Die große Frage:“ bezeichnet, und zwar „Wie schaffen wir weltweit die große Transformation hin zu einer eines Tages emissionsfreien Entwicklung…?“. Beim G7-Gipfel 2015 auf Schloss Elmau einigte man sich, ohne eine zwischenzeitliche gesellschaftliche Diskussion, dann bereits wenig später auf eine Dekarbonisierung der Weltwirtschaft bis zum Jahr 2100 zum Schutze des Klimas vor dem Menschen.

Was ist nun diese „Große Transformation“?

Der WBGU (Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen) hat in der Broschüre „Welt im Wandel – Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation“ genau beschrieben, warum diese Große Transformation erforderlich sei und wie sie gestaltet werden soll:

Zu den Beweggründen für diese „Große Transformation“ ein Zitat von Seite 1, links, mit Hervorhebungen: „Das kohlenstoffbasierte Weltwirtschaftsmodell ist auch ein normativ unhaltbarer Zustand, denn es gefährdet die Stabilität des Klimasystems und damit die Existenzgrundlagen künftiger Generationen. Die Transformation zur Klimaverträglichkeit ist daher moralisch ebenso geboten wie die Abschaffung der Sklaverei und die Ächtung der Kinderarbeit.“

Zum planwirtschaftlichen Charakter dieser „Großen Transformation“ ein Zitat von Seite 1, rechts, mit Hervorhebungen: „Diese „Große Transformation“ ist also keineswegs ein Automatismus. Sie ist auf die ‚Gestaltung des Unplanbaren‘ angewiesen, wenn sie in dem engen Zeitfenster gelingen soll, das zur Verfügung steht. Dies ist historisch einzigartig, denn die ‚großen Verwandlungen der Welt‘ (Jürgen Osterhammel) der Vergangenheit waren Ergebnisse allmählichen evolutionären Wandels.“

Und zum geplanten Umfang dieser „Großen Transformation“ ein Zitat von Seite 5, rechts, mit Hervorhebungen: „Das Ausmaß des vor uns liegenden Übergangs ist kaum zu überschätzen. Er ist hinsichtlich der Eingriffstiefe vergleichbar mit den beiden fundamentalen Transformationen der Weltgeschichte: der Neolithischen Revolution, also der Erfindung und Verbreitung von Ackerbau und Viehzucht, sowie der Industriellen Revolution, die von Karl Polanyi (1944) als ‚Great Transformation‘ beschrieben wurde und den Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft beschreibt.“

Wir haben es also mit einer moralisch begründeten und planwirtschaftlich gesteuerten Veränderung der wirtschaftlichen Lebensgrundlage der gesamten Weltbevölkerung hin zu einem dekarbonisierten Paradies zu tun. Die Dimension dieser Transformation wird mit den größten Umbrüchen der Menschheitsgeschichte verglichen. Verschwiegen wird dabei allerdings die Zahl der Opfer, die bei diesen fundamentalen Umbrüchen auf der Strecke geblieben sind.

Was kostet dieses Vorhaben und wer soll das bezahlen? – Nun, die Antwort auf den ersten Teil dieser Frage liefert die Abbildung 1 auf Seite 6:

Quelle: WBGU „Große Transformation“, Abbildung 1, Zitat Bildunterschrift mit Hervorhebungen:

„Topographie der Transformation: Um vom Status quo zu einer klimaverträglichen Weltgesellschaft (vollständige Dekarbonisierung) zu gelangen, sind zunächst Hürden zu überwinden, die als ein Anstieg der gesellschaftlichen Kosten dargestellt sind. Dieser Anstieg wird derzeit durch Blockaden (rot) verstärkt: Die gesellschaftlichen Kosten des derzeitigen Zustands stellen sich geringer dar als angemessen, etwa durch Fehlanreize wie Subventionen fossiler Energieträger oder nicht einberechnete Umweltkosten. Gleichzeitig erscheinen die erforderlichen gesellschaftlichen Kosten des Umbaus höher zu sein als sie tatsächlich sind: Zwar erfordern verschiedene blockierende Faktoren hohe Anstrengungen, etwa die kostenintensive Überwindung von Pfadabhängigkeiten. Dem stehen jedoch begünstigende Faktoren gegenüber: Viele Technologien für die Transformation sind bereits vorhanden und ihr Einsatz ist finanzierbar. Mit Hilfe der begünstigenden Faktoren können die Hürden abgesenkt und so der Weg für die Transformation geebnet werden. Sind die entscheidenden Hürden einmal genommen, ist eine große Eigendynamik in Richtung Klimaverträglichkeit zu erwarten.“

Aus dieser Abbildung 1 können wir eine Kostenabschätzung für die „Große Transformation“ herleiten: Gehen wir einmal davon aus, dass die Y-Achse in ihrem Nullpunkt die X-Achse schneidet. Auf der X-Achse ist der „Dekarbonisierungsgrad“ als eine Art Zeitachse aufgetragen, auf der Y-Achse die „gesellschaftlichen Kosten“, die offenbar mehr enthalten als nur die rein ökonomischen Kosten. Die grüne Kurve mit dem Startpunkt bei „Status Quo“ steigt zunächst etwas an und sinkt dann auf etwa 1/3 der gegenwärtigen Kosten ab. Der Grund für den leichten Wiederanstieg am Ende der Kurve zur „vollständigen Dekarbonisierung“ hin bleibt dabei im Dunkel. Nun müssen bis zum Jahr 2025 allein für die Energiewende rund 520 Milliarden Euro aufgewendet werden. Das Maximum der zusätzlichen Kosten liegt nach der Abbildung 1 insgesamt lediglich etwa 10 Prozent über den gesellschaftlichen Kosten zum Zeitpunkt des „Status Quo“, die sich damit auf mindestens 5 Billionen Euro beziffern lassen:

                10% » 520 Milliarden €  =>  100% » 10 x 520 Milliarden € = 5,2 Billionen €

Wenn wir daraus nun die gesellschaftlichen Kosten nach einer vollständigen Dekarbonisierung abschätzen, landen wir bei knapp 2 Billionen Euro, sparen also dauerhaft gesellschaftliche Kosten von mindestens 3 Billionen Euro pro vorgegebene Zeiteinheit ein, was immer diese Zeiteinheit auch sein mag. Da es hierbei aber um eine Dekarbonisierung bis zum Jahre 2100 geht, wäre also ein Umbruch von der Dimension der neolithischen und industriellen Revolution in maximal 80 Jahren für einen Schnäppchenpreis zu haben. Wohlgemerkt, die neolithische Revolution betraf zirka 5 Millionen Menschen und die industrielle Revolution etwa 1 Milliarde.  

Allerdings haben wir es hier mit einer Art „alternativem Wunder“ zu tun: Die bis dahin noch viel weiter ausgebauten alternativen Energien liegen nach vollständiger Dekarbonisierung und vergleichbarem oder gar höherem Verbrauch bei weniger als einem Drittel der Gestehungskosten zum Zeitpunkt des „Status Quo“, wo sie noch aus der Abschöpfung fossiler Energien subventioniert worden waren.

Offenbar sind hier aber konventionelle „Schattenkraftwerke“, Wirkungsgradverluste (Zwischenspeicher Wasserstoff zu Strom etwa 60%) und Investitionen in später zu erfindende Energiespeicher noch gar nicht eingerechnet. Es bleibt also abzuschätzen, was überhaupt mit den geringeren gesellschaftlichen Kosten gemeint sein könnte. Denn schon heute geben wir ungeheure Subventionen für die Energiewende aus, es folgen Klimareparationen an die „klimageschädigten“ Staaten der 3. Welt sowie zusätzliche Kosten für Verkehrs- und Agrarwende sowie die übrigen Wenden im „Great Reset“. An dieser Stelle ist vielleicht ein kurzer Rückblick auf die kulturelle Evolution des Menschen angebracht, die schließlich erst zu den Segnungen unseres Industriezeitalters geführt hatte. Die verfügbare pro-Kopf Energiemenge hatte sich in den bereits erwähnten revolutionären Schritten drastisch erhöht, und alle diese Übergänge hatten sich, als ökonomische Verbesserung freiwillig oder durch klimatische Veränderungen erzwungen, in freier marktwirtschaftlicher Konkurrenz zu dem jeweils vorher bestehenden System entwickelt:

  • Energieerzeugung in der Steinzeit (= kleine dörfliche Gemeinschaften von Jägern und Sammlern): Die verfügbare pro-Kopf Energiemenge betrug etwa das 3 bis 6-fache des menschlichen Grundbedarfs.
  • Neolithische Revolution = Zeitalter von Ackerbau und Viehzucht (=fortgeschrittene regionale Kulturen): Etwa 3 x Energieerzeugung in der Steinzeit. Die verfügbare pro-Kopf Energiemenge betrug etwa das 18 bis 24-fache des menschlichen Grundbedarfs.
  • Industrielle Revolution = Industriezeitalter (=globalisierte Welt): Etwa 3 x Energieerzeugung im Zeitalter von Ackerbau und Viehzucht. Die verfügbare pro-Kopf Energiemenge beträgt heute etwa das 70 bis 80-fache des menschlichen Grundbedarfs.

Die neolithische Revolution hat Jahrtausende gedauert, und wie viele Menschen dabei auf der Strecke geblieben sind, steht nirgendwo geschrieben. Die industrielle Revolution hat mehr als ein Jahrhundert gebraucht, um sich in den westlichen Industrienationen aus frühkapitalistischen Verhältnissen zu einer mehr oder weniger sozialen Marktwirtschaft zu entwickeln – wobei letztere bis heute noch nicht einmal global umgesetzt worden ist. Und die „Große Transformation“ soll in knapp 80 Jahren 8 Milliarden Menschen ein von fossilen Energieträgern freies „klimaneutrales“ Leben ermöglichen. Es sei daran erinnert, dass erst der industrielle Gebrauch von fossilen Energieträgern seit Beginn der Industrialisierung unseren Lebensstandard und unsere Lebenserwartung auf das heute als „ganz normal“ empfundene Niveau angehoben hatte. Wir alle leben heute nämlich so, wie es sich vor zweitausend Jahren nur die römischen Kaiser leisten konnten, und zwar dank fossiler Energieträger, modernster Technologien und jederzeit verfügbarer Energie. Wenn wir uns jetzt noch einmal die gesellschaftlichen Kosten nach erfolgter globaler Dekarbonisierung vergegenwärtigen, dann können wir den ominösen „Faktor 3“ auch bei einem menschenverachtenden Rückschritt vom Industriezeitalter hin zu einer Kultur von biologischem Ackerbau und mittelalterlicher Viehzucht erkennen.

Hat mit dem „Great Reset“ die „Große Transformation“ wohlmöglich bereits begonnen? Und können wir nach deren Umsetzung wirklich zu einem Drittel der gegenwärtigen gesellschaftlichen Kosten mit unserem gewohnten Lebensstandard in einem klimaneutralen Paradies weiterleben? Oder werden wir in ein mittelalterliches Biobauerntum mit der Nutzung von einem Drittel der aktuell verfügbaren pro-Kopf-Energiemenge zurückgeworfen – und wie viele Menschen mögen dabei dann wohl auf der Strecke bleiben?

Insofern handelt es sich bei der „Großen Transformation“ um wahrhaft sybillinische Weissagungen des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU).

Ich hatte auf Seite 184 von „Klimahysterie“ gefragt, was uns eigentlich erwartet, wenn der Klimaschutz Verfassungsrang erhalten sollte, und welche Art von Hexenjagt uns wohl vom WBGU durch die „gesellschaftliche Problematisierung von nicht nachhaltigen Lebensstilen“ angekündigt worden ist. Und Fritz Vahrenholt und Sebastian Lüning hatten in ihrem Buch „Unanfechtbar?: Die Entscheidung des Bundesverassungsgerichts zum Klimaschutz im Faktencheck“ ebendiese Entscheidung kritisch hinterfragt.

PS: Das World Economic Forum Annual Meeting 2023, Davos, findet in dieser Woche vom 16. bis 20. Januar statt – schau’n Sie doch einfach mal ‘rein…

Titelbild des Blogartikels: Foto von U. Weber

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